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{Rezension} Marina von Carlos Ruiz Zafón

Óscar Drai liebt es, durch die verwunschenen Viertel Barcelonas zu streifen. So lernt er eines Tages das faszinierende Mädchen Marina kennen, die sein Leben von Grund auf verändern wird. Zusammen werden sie in ein düsteres Geheimnis hineingezogen, das mit dem reichsten Mann der Stadt zu tun hat. Und das schon bald in einen Albtraum mit höllischer Sogkraft mündet. Aber auch Marina verbirgt ein Geheimnis. Und als Óscar es aufdeckt, ist es mit seiner Jugend von einem Moment auf den anderen vorbei.

Rezension

Als meinen ersten Eindruck hatte ich geschrieben, dass Zafón und Marina mich sofort wieder in den Bann des zauberhaften, aber auch unheimlichen Barcelonas gezogen haben. Gemeinsam mit dem jungen, naiven Óscar betreten wir die Stadt der Mysterien. Verwunschene, efeuberankte Villen, düstere Gassen, von Schmutz und Alter gezeichnete, persönliche Heiligtümer und mittendrin die engelsgleiche Marina. Und all diese Erinnerungen und Lebensgeschichten in ehrliche, poetische und manchmal ein wenig philosophische  Worte gegossen.

Er war ein korpulenter Mann, der in einem granatroten Flanellschlafrock hauste. Zwischen seinen Lippen hing eine erloschene Pfeife, und sein Gesicht zierte einer dieser Schnurrbärte, die in die Koteletten übergingen, Stil Jules Vernes. Die Wohnung lag über dem Dächerdschungel der Altstadt und schwebte in ätherischer Helle. In der Ferne erkannte man die Türme der Kathedrale und dahinter den Hügel des Montjuic. Auf einem Klavier häuften sich Staubschichten, und der Boden war mit Schachteln voller längst eingegangener Zeitungen übersät. Nichts in dieser Wohnung zeugte von der Gegenwart. Benjamín Sentís lebte im Plusquamperfekt.

Zafón: Marina, S.83

Mit dem Roman „Marina“ tat Zafón vor Jahren den Schritt vom Jugendbuch zur Literatur für Erwachsene, doch dies war nicht nur ein Genre-Wechsel, sondern wohl auch eine ganz persönliche Veränderung. Einen winzigen Einblick in das, was „Marina“ für Zafón wirklich bedeutet, zeigt sich in seinem feinsinnigen Vorwort. Sanft fühlte ich mich schon hier an die Hand genommen und in eine magische, aber auch – und hier seid gewarnt – grauenerregende Geschichte geführt.

Óscar übernimmt Zafóns Einleitung und führt die Leserinnen und Leser tiefer in die Stadt. Auf einem seiner schlafwandlerischen Spaziergänge gerät er eines Tages in den Bann einer zauberhaften Musik, der er sich nicht zu entziehen vermag. Diese führt den jungen Mann in eine verfallene Villa, wo er – vom Hausherrn überrascht – eine goldene Taschenuhr stielt. Und hier beginnt die Geschichte von Óscar und Marina, die eine kleine Liebesgeschichte ist, über der ein düsterer Schatten schwebt. Aber ganz im Vordergrund steht eine andere, nämlich eine Kriminalgeschichte mit einigen, einem grauenvollen Wahnsinn entsprungenen Details. Hiervon möchte ich aber nicht zu viel verraten, denn ich glaube, dass genau diese Leere in der Erwartung es ist, die einen ganz besonderen und wichtigen Aspekt für diese Geschichte darstellt. Nur eines noch hierzu: Das unterschwellige Unfassbare, das Merkwürdige und nahezu Fantastische hat hier einen sehr viel größeren Stellenwert als in den nachfolgenden Büchern Zafóns.

Dennoch sind die Zafón-typischen Merkmale in „Marina“ schon deutlich angelegt: der Fremde, der im Schatten lebt und einen prägenden Geruch verströmt; der naive Ich-Erzähler, der sich dem Sog des Geschehens nicht entziehen kann; die Figuren, aus deren ausführlichen Biografien man ihr ganz persönliches Schicksal erfährt und zu guter Letzt: die Tragik und das damit verbundene, unausweichliche Schicksal in jedem einzenen Leben, die die Leserinnen und Leser stumme Tränen vergießen lassen.

Aber – wie oben schon angemerkt – zeigt Zafón hier auch noch ein anderes Gesicht. Marinas Barcelona ist nicht nur schicksalsträchtig und tragisch-romantisch. Es zeigt sich zusätzlich in einem beklemmenden, dämonischen und bestialischen Gewand. Die Geschichte entwickelt sehr schnell eine Eigendynamik und Geschwindigkeit. Es gibt selten Stellen zum Luftholen und auch die angesprochenen Biografien sind nicht derart ausladend wie in den folgenden Romanen. Das tut dem Buch aber keinen Abbruch. Im Gegenteil. Hierdurch kann die Spannung die ganze Zeit über sehr konstant gehalten werden.

Doch bei all der Lobeshymnen muss ich doch noch ein klein wenig Kritik anbringen. Mit „Marina“ wird das Rad nicht neu erfunden, sage ich mal. Zafón strickt hier seine Geschichte eher „einmaschig“ und nach dem bekannten Schema, sodass viele Geheimnisse schon lange keine mehr sind, wenn sie aufgedeckt werden.

Fazit

„Marina“ ist ein früheres Werk von Zafón und kann nicht mit dem Maß gemessen werden, dass man bei „Der Schatten des Windes“ angewendet hat. Zum literarischen Meisterwerk fehlt eine sagen wir mal recht große Ecke. Aber das, was er im „Schatten“ quasi perfektioniert hat, ist in diesem Buch unübersehbar angelegt. Es handelt sich hier um eine wirklich sehr spannende Kriminalgeschichte mit (Achtung!) Horroreffekten. Das Grauenhafte, Unfassbare wird in dieser Geschichte auf die Spitze getrieben, aber das sollte ihr keinen Abbruch tun. Eine wirklich immenser und bedeutender Teil des Romans wird vom (teils selbst verschuldeten) Schicksal der Figuren gebildet. Auf jeden Fall ein  Buch, das sich zu lesen lohnt!

Bewertung

Carlos Ruiz Zafón: Marina | Verlagsgruppe Weltbild | 286 Seiten | 978-3-86365-081-0 | 11,99 Euro

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4 Comments

  • Reply fhedig 18. April 2012 at 11:55

    tolle Rezi – ich will auch so schreiben können ^^

    • Reply tintenmeer 18. April 2012 at 12:04

      Einfach immer weiter schreiben! Lass es fließen. Und wenn es mal nicht so gut klingt, was solls! Egal! Ich breche mir manchmal auch fast einen ab oder könnte schreiend meine Texte zerreißen. Das Wichtigste ist, nicht aufzuhören, und irgendwann kommt die Übung und es wird leichter. (Und nur für dich persönlich: Lesen hilft beim Schreiben ^.~)

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