Kolumnen & Essays

Mia von nebenan: Hanna Schott erzählt wahre Kindergeschichten

Mia scheint auf den ersten Blick ein Mädchen wie jedes andere zu sein. Sie ist 14, wohnt in Köln in einem hübschen Stadtteil am Rheinufer, hat einen Hund, den sie abgöttisch liebt, und geht wie alle anderen in die Schule. Das Buch „Mia von nebenan“ von Hanna Schott erzählt ihre Geschichte. Wenn es einen Grund gibt, eine Geschichte über Mia zu erzählen, dann muss etwas an Mia ja doch nicht so normal sein, wie es wirkt. Und tatsächlich. Mia hat ein Geheimnis.

Daheim muss sie sich um alles alleine kümmern. Sie macht den Abwasch, bringt den Müll weg und passt auf, dass ihre Mama ab und zu etwas isst. Obwohl ihre Familie in einer so hübschen Gegend wohnt, ist an Mias Leben gar nichts hübsch, weil ihre Mama drogenabhängig ist und ihr Papa im Gefängnis sitzt – aber das darf niemand wissen! Zum Glück gibt es ja noch Hund Rasmus, ohne ihn würde Mia es gar nicht mehr zu Hause aushalten. Aber dann kommt sie eines Tages nach Hause und ihr bester Freund ist weg …

3 Geschichten aus dem echten Leben

Tuso Hanna SchottHanna Schott ist bekannt dafür, realistische Kinderbücher zu schwierigen Themen zu schreiben. „Die Geschichten aus dem richtigen Leben interessieren mich. Ich bin kein Autor, dem Geschichten über sprechende Drachen einfallen.“ Da sie einen Schwerpunkt ihres Schreibens auf Biografisches gelegt hat, überrascht es nicht, dass auch alle ihre erschütternden Kindergeschichten ein echtes Vorbild haben, aber auch für tausend wahre Schicksale stehen.

Angefangen hatte alles mit „Tuso“, einem afrikanischen Straßenkind: „Ich schreibe viel Auftragskompositionen. Damals stand das Projekt ein biografisches Kinderbuch zu schreiben. Tuso aus Afrika kannte ich schon von früheren Besuchen dort. Und so kam es dazu, solche Bücher zu schreiben.“

Tusos Nachfolgerin war „Fritzi“. Sie ist neun und lebt im Jahr 1989 in Leipzig. Wieso so viele ihrer Freunde neuerdings verschwinden und sich ihre Eltern nach dem Fernsehgucken so oft streiten, kann sie nicht verstehen, aber sie weiß eins: Sie will auch zu den Montagsdemonstrationen gehen und sie will keine Mauer mehr sehen.

fritziTuso, Fritzi und Mia ist besonders, dass sie keine beschönigenden Kinderbücher sind. Sie stellen die Realität nicht in ein verklärendes Licht, um leichte Kost für Kinder zu sein. Mit sehr viel Feingefühl erzählen alle drei Bücher ihre Geschichten und verlieren den kritischen Blick auf die geschichtlichen Ereignisse zu keinem Zeitpunkt. „Fritzi habe ich anlässlich der 20 Jahre Wende 2009 geschrieben“, erklärt Schott. Das Buch vermag es, seine Leserinnen und Leser mit einem Schlag zwanzig Jahre zurückzuversetzen: der nette Herr aus dem Erdgeschoss, der bei jedem Besuch unauffällig die Tür öffnet, um zu spionieren, knackende Telefonleitungen, heimliches Westfernsehen – das Beklemmende ist da, ohne dass es ausgesprochen werden muss.

Hanna Schott behandelt in ihren Kinderbüchern schwere Themen, Nischenthemen, denen immer Eltern und Kinder zusammen begegnet sollten. Eine weitere Möglichkeit die Kinder damit sanft in Berührung zu bringen sind Schulen. „Manchmal ergeben sich aus der Beschäftigung mit meinen Büchern auch ganz andere Sachen. Von Tuso zum Beispiel wurde von einer schweizer Schule ein Musical gemacht. Auch bei Afrikatagen, bei denen häufig auch das Thema Straßenkinder aktuell wird, findet Tuso häufig einen Platz.“

Auf der Suche nach Kinderschicksalen in Deutschland

Durch Tuso kam Hanna Schott auch schließlich zu ihrer letzten Geschichte, „Mia“. „Nachdem ich über ein afrikanisches Straßenkind geschrieben hatte, dass ich auch in Afrika kennengelernt hatte, kam die Frage: Gibt es auch in Deutschland Straßenkinder, deren Geschichte erzählt werden könnte?“ Die folgende Recherche gestaltete sich als nicht so schwierig, wie man annehmen würde. Schott bekam engagierte Unterstützung von Jugendämtern im Großraum Köln. Doch die Erwartungen wurden zunächst nicht erfüllt: „Straßenkinder im Sinne afrikanischer Straßenkinder gibt es nicht, jedenfalls nicht im Grundschulalter. Natürlich gibt es Kinder, die mal draußen übernachten, irgendwo rumhängen, ihre Familie verlassen haben, aber das sind meistens Jugendliche, bei denen das Jugendamt immer weiß, wo sich sich herumtreiben.“ Schott hat sich schnell von einem deutschen Tuso verabschiedet, und fand dann Mia, deren Geschichte zwar nicht der gesuchten entsprach, aber durchaus ein Kinderschicksal in Deutschland verkörpert. „Mia, die im wirklichen Leben natürlich anders heißt, lebt in Köln und kommt aus sehr edlem Hause und bester Wohngegend. Das habe ich für das Buch eher schlichter gemacht. Mias Eltern sind beide drogenabhängig und haben all ihr Geld für ihren Stoff ausgegeben. Die Familie ist darum sozial verwahrlost.“

Zunächst dachte Schott das Kinderschicksal eher in einem Kölner Stadtteil mit großem Migrantenanteil zu finden, diese Illusion nahm ihr die zuständige Leiterin des Jugendamts sehr schnell, sie eröffnete Schott jedoch die Tür zu einer befreundeten Sozialpädagogin eines großen Kinderheims. Im Beisein der Pädagogin traf Schott die echte Mia, deren Name ein anderer ist, zum ersten Mal und erfuhr ihre Geschichte. Aufgrund eigener Erfahrungen und Mias Offenheit musste sich Schott allerdings nichts ausdenken: „Sie musste mir nicht erklären, wie das ist mit Drogensucht. Ich bin in einem Pfarrhaus aufgewachsen, wo wir immer Drogenabhängige bei uns hatten. All diese Dinge kannte ich schon aus meiner eigenen Anschauung, aus meiner Kindheit. Mia war allerdings hin und her gerissen zwischen der Frage, was man erzählen soll und was nicht. Aber sie war auch ein bisschen stolz, dass ihre Geschichte die Grundlage meines Buchs sein soll. Das war natürlich auch ein bisschen schmeichelhaft für sie.“ Und so erzählte Mia all das Schreckliche aus ihrem Leben. Nicht nur die drogensüchtigen Eltern machten es ihr schwer, sondern auch Einsamkeit, fehlende Liebe und das Mobbing ihrer Mitschüler.

„Mia von nebenan“ und auch die anderen beiden Kinderbücher der Autorin bieten viele Ansätze zum Gespräch – vor allem in Schulen. Ob es um afrikanische Straßenkinder, das Leben in der DDR, Drogen oder Mobbing geht, Hanna Schotts Bücher sind für Eltern und Schule interessant, denn sie bieten eine sanfte, aber realistische Möglichkeit, Kinder auch an schwierige gesellschaftliche Themen heranzuführen.

Hanna Schott

machte in Wuppertal eine Ausbildung zur Buchhändlerin und studierte in Marburg, Freiburg und Heidelberg. Sie hat zwei Kinder und  war in der Familienzeit ehrenamtlich in badischen Kirchengemeinden tätig. Nach zunächst freier Mitarbeit arbeitete sie zwölf Jahre lang als Lektorin. Seit 2004 ist sie als Autorin, Redakteurin, Übersetzerin und Lektorin selbstständig.


Kennt ihr ähnliche Kinderbücher wie die von Hanna Schott? Was haltet ihr davon, Kindern mithilfe solcher Bücher auch schwierige Themen näher zu bringen? Habt ihr damit vielleicht schon selbst Erfahrungen gemacht?

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2 Comments

  • Reply Flori 26. Juni 2013 at 10:01

    wow… ziemlich geiler Bericht

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