Bücherschrank

„Scherben“ von Kerstin Ruhkieck

Ein Psychothriller, bei dem das PSYCHO groß geschrieben wird und die Wendungen nur die Wendungen vor den Wendungen sind

Hallo ihr Lieben,

bevor ich loslege, vorweg eine kleine Warnung: Das Buch ist nichts für allzu schwache Gemüter! Ihr solltet mit ein paar Grausamkeiten und psychisch kranken Charakteren umgehen können. Trotzdem ist die Gewalt ganz gut zu verkraften, weil sie nie zum Selbstzweck oder zur Effekthascherei wird. Also nur fürs Protokoll: Ich hab euch gewarnt! ;) Weiterlesen auf eigene Gefahr …

Während ich hier sitze und diesen Herzenspost schreibe, fällt mir auf, dass ich als Co-Autorin so gar keine klare Linie habe, was die veröffentlichten Artikel angeht: 6 Verborgene Schätze, 3 Buchmesse-Artikel, 2 Filmtipps, 1 Spotlight on (jetzt 2) und 1 Begrüßungspost mit Steckbrief. Es gibt von mir gar keine Neuzugänge, Monatsrückblicke oder Rezis, weil mich diese Art Posts irgendwie nicht reizen … Dafür schreibe ich, was mir auf dem Herzen liegt, was mich gerade beschäftigt, was mich überrascht, beeindruckt, geflasht hat. Ob Buch, Film, Manga, Musikvideo … es kann alles sein. Was raus muss, muss nun mal raus!

So, genug gequatscht, jetzt lehnt euch zurück, macht’s euch bequem, holt die Chipstüte raus und richtet euren Blick auf die Leinwand, wenn das Spotlight angeht! *wuuuuuuuuuusch* Viel Spaß mit meinen Gedanken zu Scherben! ;)

Rezension

Die Scherbe in ihrer Hand soll ihr dabei helfen, sich besser zu fühlen. Denn nur so weiß Vanessa Justine Seebusch mit Demütigung umzugehen. Alles ändert sich jedoch, als sie Jonas Hoffmann kennenlernt und sich in ihn verliebt. Ihm will sie vertrauen – trotz seines manchmal zweifelhaften Verhaltens. Doch auch Vanessa hat ein Geheimnis. Ein Geheimnis, so schwerwiegend, das es ihr unmöglich macht, ein normales Leben zu führen. Als Jonas‘ angeblich bester Freund Thox auf der Bildfläche erscheint, spürt Vanessa sofort, dass es keine Freundschaft ist, die Jonas mit Thox verbindet. Es ist ein dunkles Band, das die einst besten Kumpels scheinbar brutal aneinander kettet. Noch bevor sie hinter die nebulösen Gründe für ihre aufrecht erhaltene Verbindung kommt, findet Vanessa sich in einer lebensbedrohlichen Situation jenseits ihrer Vorstellungskraft wieder und ahnt nicht, dass sie längst Teil eines perfiden Plans geworden ist. Die schicksalhafte Vergangenheit der zwei Männer droht nun auch Vanessa zu zerstören, und es gibt kein Entkommen …

1. Sätze Teil 1, Kapitel 1

„Vanessa Justine Seebusch wurde herumgereicht wie ein Teller mit Keksen, und je mehr nach ihr gegrapscht wurde, desto weniger blieb von ihr übrig. Noch bevor sie mit ihr fertig waren, fühlte sie sich ausgelaugt und leer. Und dabei war das erst der Anfang.“

Kerstin Ruhkieck: Scherben, Position 100-102

 Oh Mann, wo fange ich nur an? Ich hab das Buch in zwei Tagen durchgesuchtet, trotz Arbeit und Alltag. Habe in jeder freien Minute gelesen und konnte es nur schwer (eigentlich gar nicht) aus der Hand legen. Auch wenn ich nicht gelesen habe, sind meine Gedanken immer wieder zur Geschichte zurück gewandert und kreisten ständig um die Fragen: Wer hat Schuld und warum? Was ist damals passiert? Wer ist Täter, wer Opfer? Kann man das überhaupt so pauschal sagen? Ist es nicht viel mehr so, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat und es eben Gründe gibt, warum die Charaktere zu den Menschen geworden sind, die sie heute sind? Und wie hängt das alles zusammen? Haben die Protagonisten überhaupt ein gutes Ende verdient oder wird alles in einer Katastrophe gipfeln?

Wahre Fragenberge türmen sich auf und die liebe Autorin geizt sehr mit den Antworten. Sie gibt immer nur so kleine Häppchen heraus, dass man an der Leine bleibt und der Karotte hinterherjagt, aber nicht genug, um ganz heranzukommen. Gemeine Szenenwechsel und Schnitte zwingen einen zum Weiterlesen, man hat keine Chance, dem grausamen Sog zu entkommen …

Ein kluger Schachzug ist es auch, die Geschichte aus drei Perspektiven zu erzählen. Jede der drei Hauptfiguren kommt zu Wort und man wird immer tiefer in ihre düstere, verquere Gedankenwelt gesogen … Ihre psychischen Probleme sind faszinierend. Grausame Dinge geschehen, teils verschuldet, teils unverschuldet und man erlebt die Auswirkungen auf die Psyche der Protas hautnah mit – mittendrin statt nur dabei! Dabei wird nichts beschönigt, aber auch nichts plakativ an die Wand gemalt. Man empfindet keine Sympathie für die Charaktere, aber Empathie und will wissen, wie es mit ihnen weitergeht. Ich bin ja der Meinung: Lieber ein kranker Charakter, der interessant ist, als ein Langweiler, der in Vergessenheit gerät! :) Und dabei fühlt sich die Geschichte so real an, als ob sie GENAU SO passiert wäre und die Autorin sie nur noch aufschreiben musste. Dieses Gefühl habe ich nur selten bei einem Buch und es macht die Sache so verdammt eindrücklich und gänsehautbescherend, da man zu keinem Zeitpunkt denkt: „Ach, ist ja nur eine Geschichte.“

Das Buch ist wie ein Unfall: Man will das alles gar nicht sehen, muss aber trotzdem hingucken. Ich habe wild spekuliert, Theorien aufgestellt und wieder verworfen und niemandem auch nur einen Meter über den Weg getraut. Tja und was soll ich sagen? Ich lag oft daneben, sehr oft. Nur mit wenigen Dingen hatte ich Recht und mit manchen nur so halbwegs. Ich hab sogar zwischendrin oft zurückgeblättert, um die Zusammenhänge zu erkennen und die komplette Story zu verstehen. Die ist so meisterhaft aufgebaut, dass es mich umgehauen hat. Die Autorin versteht ihr Handwerk!

Seid ihr wie ich ein Fan von überraschenden Wendungen? Ja? Dann ist das DAS Buch für euch! Denn die gibt es in Hülle und Fülle. Man kann kaum drei Meter laufen, ohne über eine Mini-Wendung zu stolpern. Es gibt aber nicht den EINEN großen Knall, den AHA-Effekt, an dem sich die Wahrheit offenbart und alles in einem neuen Licht erscheint. Es ist vielmehr eine gut getimte Symphonie der Überraschungen. Wie eine schwermütige Melodie ziehen sich Vermutungen und Auflösungen durch die Geschichte und verursachen Gänsehaut! Bis kurz vor Schluss war (fast) alles offen und die Story konnte noch in alle Richtungen gehen.

Mein Gehirn hatte viel Arbeit und war fleißig am Qualmen. Ratlosigkeit und Miträtseln in Reinform, so wie ich es liebe! Und ihr dachtet, ihr kennt Wendungen? Na gut. Aber kennt ihr auch Wendungen von den Wendungen von den Wendungen? Klingt verquer, ist aber so. ;) Die eine Wendung, okay, damit konnte man vielleicht rechnen, aber schon kommt eine weitere um die Ecke und lässt die Ereignisse in einem neuen Licht dastehen. Die Autorin spielt mit dem Leser Verstecken und führt ihn gekonnt an der Nase herum. Erwartungen werden aufgebaut, nur um sie dann wieder zunichtezumachen, bis man irgendwann jedem alles zutraut und nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Und dabei bleibt auch noch alles logisch (jedenfalls soweit meine Gehirnwindungen das mitbekommen haben). Das muss der Autorin erstmal jemand nachmachen. Chapeau!

Ich kann euch nur den Rat geben: Haltet die Augen offen nach versteckten Hinweisen und mysteriösen Spuren! Vielleicht könnt ihr das Puzzle ja eher zusammensetzen als ich und so das ganze Bild erkennen. Ich konnte es nur teilweise, bis zu einem gewissen Punkt zum Ende hin, wo die Stückchen dann alle zusammen gepasst haben.

Und dann das Ende. Es hat einen sanft aus der Story geschwemmt, wir haben die Karotte endlich von der Leine vor unserer Nase geschnappt und sie wird uns nicht gleich wieder entrissen. Stattdessen haben wir noch ein bisschen Zeit, sie genüsslich zu verspeisen. Ist bei manchen Geschichten leider nicht so, da endet alles so abrupt, Fragen oder der Werdegang der Personen bleiben offen. Aber hier ist es perfekt. Es wurde genau an der richtigen Stelle ein Cut gemacht und ich danke der Autorin aus ganzem Herzen für den Epilog! Der hat mich mit einem guten Gefühl entlassen (auch wenn er etwas „strange“ war – eben passend zum Buch ^^).

Fazit

Great Job! Der Preis für den besten Psychothriller geht an … Scherben! Heftig, verstörend, merk- & denkwürdig, besonders, anders, genial und alles in allem MEISTERHAFT! Es hat mich tief beeindruckt, mehr als einmal überrascht und komplett zufrieden zurückgelassen. Besser als sämtliche Thriller, die ich bisher gelesen habe (und einige davon von amerikanischen Bestsellerautoren). Also lest es – wenn ihr die Nerven dazu habt! ;) Am besten in einer Leserunde, denn es gibt reichlich Gesprächsstoff, viel zum Nachdenken, Diskutieren und Verarbeiten!

Bewertung

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