Kolumnen & Essays

Edgar Allan Poes „Ligeia“

Ligeia. Die Lady, deren Familie der Erzähler auf „grauste Vorzeit datiert“, ist eine Figur und zugleich Namensgeberin einer Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe, zuerst veröffentlicht im September 1838. Mit dem Hang zu düsteren Geschichten kam auch ich nie an Ligeia vorbei. Und düster und gespenstisch ist diese allemal.

Es ist die Erzählung Poes, der ich immer am meisten zugetan war, die ich in den verschiedenen Ausgaben immer zuerst lese. In ihrem Mittelpunkt steht eine mysteriöse Frau, deren Familie und Ursprung dem Ich-Erzähler – ihrem Ehemann – völlig unbekannt ist. Weder kann er sich an den Ort noch die Zeit ihrer ersten Begegnung erinnern noch an den Familiennamen, den sie vor seinem getragen haben musste. Eingrenzen kann er den Ort ihrer Begegnung nur auf eine „große, alte, verfallene Stadt nahe am Rhein“. Ihr Auftauchen ist also schon sehr seltsam, von Geheimnissen geprägt.

Übernatürliche Erscheinung

So wie Ligeia selbst. Den Namen hat sie von einer Sirene aus der griechischen Mythologie, sie ist also dem Wasser und dem Fließen nahe. Und so zerfließen wohl auch die Erinnerungen ihres Mannes an sie. An ihr außergewöhnliches Äußeres kann er sich jedoch nun, lange nach Ligeias Tod, noch sehr gut erinnern. Vom griechischen Standard-Vorbild hebt sie sich nämlich ab. Zwar ist ihre Erscheinung übernatürlich, ja auch schön, doch macht gerade die Abweichung vom klassischen Regelmaß, ihre Fremdheit, ihre wahre Besonderheit aus. Wie schön auch diese Botschaft ist: das Andersartige ist zwar seltsam für den Menschen, aber es ist auch das, was ihn besonders und schön macht. Ligeia ist sehr schlank und hoch gewachsen, ihre Gestalt ist majestätisch und geradezu ätherisch. Sie kommt und geht wie ein Schatten, bewegt sich lautlos. Ihre Haut ist elfenbeinfarben und ihr Haar üppig, schimmernd und rabenschwarz. Das Interessanteste an ihr sind aber wohl ihre Augen von allerschimmernstem Schwarz.

Sie waren, wie ich glauben muß, weit größer als die gewöhnlichen Augen, die unserm Geschlecht zuteil geworden sind. Sie waren voller, als selbst die vollsten der Gazellenaugen des Stammes im Tale von Nourjahad. Doch geschah es lediglich in Abständen – in Augenblicken höchster Erregung – daß diese Eigentümlichkeit mehr als nur leicht auffällig an Ligeia wurde. Und in solchen Augenblicken dann war ihre Schönheit – vielleicht erschien es meiner erhitzten Fantasie nur also – wie die Schönheit von Wesen, die entweder über oder doch abseits der Erde sind – gleich der Schönheit der fabelhaften Houris der Türken.

Grenzenloser Wille

Das Speziellste aber an ihr ist ihr Wille. Unbezwingbar scheint er zunächst, denn einer Krankheit, die Ligeia befällt, trotzt sie ungewöhnlich lange. Schlussendlich siegt aber der Tod. Ligeia stirbt mit den Worten, die Poe dem englischen Schriftsteller und Philosophen Joseph Glanvill zudichtet: „Der Mensch stehet den Engeln nahe, ja letztlich dem Tode selbst, nur Kraft der Schwäche seines so matten Willens.“

Ligeia wird auch als Muse des Erzählers gesehen, als bloße Einbildung, denn oft nähert sie sich lautlos und hilft ihm bei seinen okkulten Studien, die sich mit der Grenze zwischen Leben und Tod befassen. Mir hat sich aber schon immer der Gedanke an etwas Vampirisches aufgedrängt. Innerlich ist Ligeia von eine grausamen Gier geleitet. Die äußere Erscheinung birgt etwas Übernatürliches, eine unnatürliche Schönheit, außerdem besitzt sie immenses, fast schon unmenschliches Wissen und zu guter Letzt ihre Stimme, die natürlich auch in ihrem Ursprung als Sirene begründet ist:

Von allen Frauen, die ich je gekannt, war die äußerlich ruhige, immer gelassene Ligeia jene, die auf das ungestümste ein Opfer der heftigen Beutegier grausamer Leidenschaften war. Von diesen Leidenschaften konnte ich mir kein Bild machen, es sei denn durch die übernatürliche Weite jener Augen, die mich zugleich begeisterten und schreckten – durch die fast magische Melodie, Modulation, Klarheit und Ruhe ihrer so sanften Stimme – und durch die stürmische Energie (…) der wilden Worte, die sie für gewöhnlich äußerte.

Man kann die Geschichte böswillig so lesen: Ligeia lockt und verführt und treibt auch in den Wahnsinn. Am Ende töte sie auch, nämlich die zweite Frau des Erzählers, Lady Rowena – und zwar mit drei Tropfen Blut, die in ihren Wein fallen. Und dann stielt sie ihren Körper und kehrt ins Leben zurück.

Aber das muss man nicht so lesen. Dazu gleich mehr …

Düsterer Stilmix

Mythologisches, Totenkulte, ob griechisch oder ägyptisch, Religiöses, Transzendentales – diese Geschichte birgt so viel Symbolik, ist vollgestopft bis ins letzte kleine Wort, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll, die Puzzleteile zusammenzubauen. Ich liebe das und finde, dass es in Poes Geschichte „Ligeia“ besonders schlimm ist – im positiven Sinn natürlich. Kaum eine Beschreibung, über deren Doppeldeutigkeit man nicht stolpert, so dicht ist der Text.

Ich liebe die Rätselhaftigkeit der Geschichte und der Figur Ligeia. Dieser permanente doppelte Boden! Ist es eine Liebesgeschichte? Die wunderbare, außergewöhnliche Ligeia, die vom Erzähler so geliebt wird, dass sie kraft ihres unbändigen Willens in die Welt der Lebenden zurückfindet? Vielleicht. Aber ist Ligeia in der Version die Gute oder die Böse? Es kann aber auch ganz anders sein: Der Psychopath, der im Opiumrausch seinen Phantasmen nachhängt, seine Frau vergiftet und Ligeia herbei halluziniert? Wer weiß? Ich finde es großartig, zwei so völlig gegensätzliche Geschichten in einer zu erzählen. Eine Meisterleistung. Ein unheimliches Kalkül. Von keinem Autor kenne ich Ähnliches.

Ich liebe auch die Stimmung, die der Autor vom ersten Wort an erzeugt. Düster, geheimnisvoll, unheilsschwanger – und nichts scheint so recht sicher zu sein. Als der Erzähler nach Ligeias Tod seinen Wohnort, die alte verfallene Stadt am Rhein, aufgibt, wird auch die Umgebung so richtig schön schaurig. Sein neues Zuhause ist eine alte Abtei in einer wilden, abgelegenen Gegend Englands.

Die düstere und zugleich trostlose Pracht des Gebäudes, der nahezu verwilderte Charakter des Grundstücks, die vielen melancholischen und altehrwürdigen Erinnerungen, die sich mit beiden verbanden, standen so recht im Einklang mit dem Gefühl gänzlicher Verlassenheit, das mich in diese abgelegene und ungesellige Region des Landes getrieben hatte.

Noch gruseliger ist nur das Brautgemach Lady Rowenas, das zugleich ihr Totenbett ist.

… das Brautbett – nach indischem Vorbild, niedrig und aus solidem Ebenholz geschnitzt, mit einem Baldachin darüber, der einem Sargtuch glich. In jeder der fünf Ecken des Raumes stand aufrecht ein gigantischer Sarkophag aus schwarzem Granit …

Ein perfekter Ort für die unheimliche Metamorphose der Lady Rowena in Lady Ligeia.

Von der Gänsehaut-Stimmung über die opulente Sprache bis zu den düsteren Figuren und ihren tragischen Schicksalen ist „Ligeia“ eine der großartigsten (Kurz-)Geschichten, die je erzählt wurden. Und mit meiner hohen Meinung stehe ich nicht alleine da. Edgar Allan Poe selbst hielt „Ligeia“ für die allerbeste seiner Geschichten. Wir sind uns einig. :)

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1 Comment

  • Reply {Rezension} Spuk in Hill House von Shirley Jackson - Tintenmeer 18. November 2017 at 16:58

    […] für die Fantasie beim Lesen. Ein Kniff, auf den u.a. auch Edgar Allan Poe (zum Beispiel in „Ligeia“) in seinen Kurzgeschichten gern zurückgegriffen […]

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