Drvenkar Still
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{Rezension} Still von Zoran Drvenkar

Klappentext: Wenn die Seen schweigen, kommt der stille Tod. Ein Mann, der seine Tochter sucht und dabei seine Identität verliert. Ein Mädchen, das seit sechs Jahren reglos aus dem Fenster schaut und darauf wartet, dass ihr jemand den Schlüssel zu ihrer Erinnerung bringt. Vier Männer und eine Mission, die aus Hunger und Disziplin besteht und keine Opfer scheut. Ein Winter in Deutschland, ein See im Wald und Schatten, die sich unter dem Eis bewegen. Der neue, große Thriller des SPIEGEL-Bestseller-Autors Zoran Drvenkar.

Rezension

Auf das Buch bin ich nur durch Zufall beim Stöbern auf Amazonien gestoßen, obwohl der Autor mit dem unaussprechlichen Namen ja extrem bekannt ist. Aber wer mich kennt, der weiß, dass ich alles, was auch nur im Entferntesten nach „Bestseller“ riecht, meide wie die Katze das Wasser. Ganz einfach, weil mich solche Bücher meist enttäuschen. Da die Story aber so außergewöhnlich klang und es so viele begeisterte und euphorische Bewertungen gab („Der beste Thriller der letzten Jahre“, „Einfach nur sprachlos“, „Buch des Jahres“, „Hat mich nachhaltig beeindruckt“ usw.), wollte ich es dann unbedingt lesen, um zu erfahren, was dahinter steckt. Schlimm, das mit der Neugierde, oder? :D

Ich kehre gegen ein Uhr morgens nach Hause zurück. Plötzlich geht es so schnell. Hagen. Achim. Edmont. Ich habe das Gefühl ich könnte die ganze Nacht laufen, so rastlos bin ich. Der Wetterbericht hat einen Kälteeinbruch für das Wochenende angekündigt, die Luft ist frostig, und ich schmecke den Winter bei jedem Atemzug. Eisig und bitter wie eine Frucht, die nicht gegessen werden sollte. Ich fürchte mich vor dem Schnee. Er wird meine Erlösung sein, aber dennoch fürchte ich mich vor ihm.

– Zoran Drvenkar: Still, Position 184-187 (Ich)

Ok, meine Erwartungen waren also entsprechend hoch und ich habe auf nichts weniger als einen Psychothriller gehofft, der mir das Gehirn aus dem Schädel pustet und es verkehrt herum wieder einsetzt. xD Das Gute zuerst: Ich hab die Geschichte an nur einem Tag verschlungen und konnte den Reader einfach nicht aus der Hand legen – er klebte wie Pech an meinen Fingern!

Die Geschichte war ziemlich spannend und gut konstruiert. Der Autor kann mitreißende Storys erzählen und man merkt, dass er schon viel Erfahrung hat. Es ist die ganze Zeit zu spüren, dass sich eine unterschwellige, tiefere Wahrheit hinter allem verbirgt und man wird lange im Dunkeln gelassen, weil immer nur ominöse Andeutungen gemacht werden. Das treibt die Spannung voran, auch wenn die Entwicklung phasenweise ruhiger vor sich geht. Ich wollte unbedingt wissen, worauf alles hinausläuft und wie die versprochene, unerwartete Wendung aussieht!

Sie sind keine Brüder, sie sind keine Freunde. Sie leben außerhalb ihres Lebens ein zweites Leben und nennen es das wahre Leben. In diesem wahren Leben hat jeder seine festen Aufgaben. Jeder steht für sich selbst ein, und zusammen sind sie eins. Sie haben es von ihren Vätern gelernt, ihre Väter haben es von ihren Vätern gelernt, und so geht es über Generationen. Eine Fackel, die weitergereicht wird. Ein Licht, das nie verlöscht.

– Zoran Drvenkar: Still, Position 400-403 (Sie)

Soviel zum Positiven, kommen wir zu den Problemen. Der Anfang war sehr ernüchternd und ich hab ca. 50-100 Seiten gebraucht, bis ich mich einigermaßen in die Story eingelesen hatte. Die Geschichte wird in dauernden Perspektivwechseln zwischen „Du“, „Ich“ und „Sie“ erzählt, was sehr ungewohnt für mich war und meinen Lesefluss behindert hat, weil ich mich dauernd neu orientieren musste. Auch die kurzen Kapitel, in denen man unvermittelt rein- und rausgeworfen wird, haben mich genervt.

Ebenso wie der abgehackte, emotionslose Schreibstil, der stellenweise an eine Aufzählung erinnert hat: „Sie tun dies, dann sehen sie das, dann machen sie das und dann passiert das.“ Nur Hauptsätze aneinander gereiht und viele Wortwiederholungen (als Stilmittel – klar – aber trotzdem) das war auf Dauer anstrengend. Und zu allem Überfluss gestaltete sich die wörtliche Rede als sperrig. Es ist eine Eigenart des Autors in all seinen Büchern, dass er sie ohne Anführungszeichen, lediglich mit Anstrichen schreibt und das hat die Personen noch distanzierter wirken lassen und es mir noch schwieriger gemacht hat, einzutauchen. Ihr seht, das Buch hat es mir nicht leicht gemacht, einen Zugang zu seiner – ohne Frage verdammt interessanten – Story zu finden. Trotzdem haben die Faszination und mein Detektivsinn überwogen und ich habe fleißig weiter gelesen …

Zu den Charakteren kann ich gar nicht so viel sagen, wie ich im Nachhinein feststelle. Das „Du“ blieb mir trotz ihres schlimmen Schicksals leider fern und die „Sie“ Gruppe ebenfalls, da ihre Taten nur von außen beschrieben wurden. Das „Ich“, Mika ist mir noch am nächsten gekommen, er hatte mein vollstes Mitgefühl für seine Situation und ich habe ihm die Daumen für seine schwierige Mission gedrückt! Mit ihm hab ich auch am meisten mitgefiebert.

Auf die Story kann ich leider nicht so genau eingehen wie ich gerne würde ohne euch zu spoilern, also lassen wir das lieber. ;) Aber es gibt einen wirklich schaurigen Hintergrund, der sich um Kindesentführungen dreht und an die Nerven geht. Trotzdem kam es nicht sensationsheischend rüber und war angemessen beschrieben, so dass man die Schilderungen nervlich verkraften konnte.

Die Story an sich bietet mit der winterlich-dunklen Kulisse, den sperrigen. aber interessanten Charakteren und dem „großen Geheimnis hinter den Kulissen“ beste Psychothriller-Zutaten! ABER – und hier kommt das große ABER: Ab einem gewissen Punkt im letzten Drittel der Story gibt es eine so krasse Wendung, dass die gesamte Handlung und die Hintergründe der Geschichte unglaubwürdig wurden. Ich kann gar nicht sagen, woran das lag, aber es kam einfach nicht authentisch rüber und ich konnte an manchen Stellen nur die Stirn runzeln. Die Wende war zwar wirklich unerwartet und spannend (Applaus dafür – an der Stelle hat sich meine Atmung beschleunigt!), machte aber leider ein VÖLLIG ANDERES BUCH daraus. Damit kam ich bis zum Schluss nicht klar, weil meine Erwartungen in eine andere Richtung gingen und ich mir einen anderen Ausgang erhofft hatte … *seufz*

Gemäß Lobsandwich muss ich jetzt noch etwas Positives nennen, und es kommt mir vor als hätte ich nur kritisiert, dabei muss das Buch ja irgendwas an sich gehabt haben, wenn ich an nur EINEM TAG durchgerauscht bin. :) Also auch wenn der Stil nicht ganz meinen Geschmack getroffen hat, der Autor kann definitiv schreiben – mit Suchteffekt! Und ich darf auch das wichtige Thema Kindesentführung nicht außer Acht lassen, dem sich Herr Drvenkar mutig angenommen hat – ohne Tabus, aber auch ohne Sensationsgier, er findet genau das richtige Maß. Einige Rezensenten hatten ja angemerkt, dass das Thema so heftig und detailliert umgesetzt wurde, dass man es kaum erträgt, aber das Gefühl hatte ich komischerweise nicht. Im Gegenteil: In den heftigen Szenen wurde meist rechtzeitig „weggeblendet“, was mich oft sogar gestört hat. Was sagt das jetzt bloß über mich aus – bin ich vielleicht schon zu abgebrüht?

Am Ende war ich leider etwas enttäuscht, weil das Buch sich merkwürdig entwickelte und einige Fragen offen blieben, die mich brennend interessierten … Nach DEN Bewertungen hatte ich etwas Tiefgründigeres erwartet, was mich total umhaut und mir im Gedächtnis bleibt. Leider nein.

Da war eine Hütte, da war ein Wald und ein See. Da war Schnee, eine Menge Schnee, und sonst nur Einöde. In den ersten drei Tagen hast du nichts davon gesehen. Die Zeit hatte aufgehört, einen Sinn zu ergeben. Es gab nur das Davor und das Danach. Das Davor bestand aus diesem elendig langen Moment, in dem sie deinen Bruder und dich aus deinem Zuhause holten – die Finsternis nach dem Stromausfall, das Knarren der Stufe, das Aufschwingen deiner Zimmertür. Ende. Das Danach war das Erwachen und die Hitze.

– Zoran Drvenkar: Still, Position 1445-1450 (Du)

Fazit

Ich erwartete ein exquisites 5-Gänge-Menü, bekam aber eher eine 5-Minuten-Terrine. Es las sich fesselnd und verdammt schnell, aber die Figuren blieben mir seltsam fremd und die Story hielt mich immer auf Distanz – außen vor, statt mittendrin. So konnte es leider keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, schade.

Bewertung

Still | Heyne Verlag | 416 Seiten | 978-3453419346 | 9,99 Euro

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