Lucian von Isabel Abedi
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{Rezension} Lucian von Isabel Abedi

Immer wieder taucht er in Rebeccas Umgebung auf, der geheimnisvolle Junge Lucian, der keine Vergangenheit hat und keine Erinnerungen. Sein einziger Halt ist Rebecca, von der er jede Nacht träumt. Und auch Rebecca spürt vom ersten Moment an eine Anziehung, die sie sich nicht erklären kann. So verzweifelt die beiden es auch versuchen, sie kommen nicht voneinander los. Aber bevor sie noch erfahren können, was ihr gemeinsames Geheimnis ist, werden sie getrennt. Mit Folgen, die für beide grausam sind. Denn das, was sie verbindet, ist weit mehr als Liebe.

Rezension

Ich habe gerade schon fast Angst, eine Rezension zu dem Buch zu schreiben, so oft musste ich in den letzten drei Tagen über verteufelte Literaturkritiker lesen. Da kriegt man schon ein schlechtes Gewissen, obwohl man NUR GUTES schreiben will! Es ist einfach verrückt.

Wieso fange ich meine Rezension von Isabel Abedis Roman „Lucian“ gerade mit so etwas fast Banalem an? Ich glaube, ich kann nicht anders! Dieses Buch hat mich völlig fertig gemacht. Es war der reinste Wahnsinn. Ich bin der Autorin ernsthaft dankbar, dass sie den Spannungsbogen hin und wieder soweit entdehnt hat, dass man mal eine Pause machen konnte. Diese Geschichte in einem Rutsch zu lesen (einige von euch mögen das bei 550 Seiten zweifellos schaffen) würde mein Gehirn Amok laufen lassen – um es mal mit Abedis Worten zu sagen. Im Moment habe ich wirklich das Gefühl, laut schreiend durch den angrenzenden Wald rennen zu müssen. Kann mich quasi kaum noch davon abhalten, nicht sofort die Tür aufzureißen!

Von der ersten Zeile an war ich gefangen und ich bin es noch immer. Die Figuren sind quasi gerade meine besten Freunde und ich möchte genauso weiter mit ihnen lachen, weinen und verzweifeln, wie ich es in den letzten Tagen getan habe. Und das habe ich wortwörtlich. „Lucian“ war das witzigste und traurigste Buch, das ich seit Langem gelesen habe. Ich musste an so vielen Stellen laut prusten und habe an noch mehr Stellen den Atem angehalten. Die letzten hundert Seiten waren die reinste Qual – im positiven Sinn. Und das Ende? Sagen wir es so: Ich hatte gerade sogar Angst das Ende aufzuschlagen, um nochmal nach der Seitenzahl zu gucken, weil ich gerade nicht im Stande bin, darüber nachzudenken! Ich frage mich ganz ernsthaft, wie die Autorin es überhaupt geschafft hat, dieses Ende durchzustehen …

Wie war das? Literaturkritiker sollen (ich würde sagen dürfen versuchen) objektiv sein (siehe Seite 400). Ich probiere das jetzt einfach mal, obwohl das echt schwer werden wird.

Der Schreibstil ist ähnlich flüssig, jugendlich, locker wie bei „Whisper“, man kann durch die Seiten rennen und muss sich sogar eher bremsen. Abedi trifft den „jungen Ton“ perfekt und beschreibt Rebeccas Leben und die Art und Weise, wie es immer weiter auseinander bricht, einfühlsam. Dabei bleibt sich aber stets dem Alter ihrer Protagonistin treu, formuliert nie hochgestochen oder abstrakt.

Ich sagte: „Ich liebe dich.“
Die Worte blieben in der Luft, bis sie sich langsam auflösten und dann noch einmal aus seinem Mund kamen.
Er küsste mich sanft, erst auf die Schläfen, dann auf den Hals, dann auf den Mund. Schließlich lehnte er seinen Kopf auf meine Brust.
„Du bist da“, flüsterte er. „Du bist wirklich da.“

Abedi: Lucian, S.467

Dadurch, dass es sich hier um eine Ich-Erzählung aus Rebeccas Sicht handelt, ist man ihr beim Lesen einfach am nächsten und sieht auch die anderen Figuren zwingend nur aus ihrer Perspektive. Dadurch ist es natürlich unumgänglich, dass alle anderen blasser bleiben als die Protagonistin. Allerdings hat die Autorin es trotzdem geschafft, eine lebendige und komplexe Umwelt für Rebecca zu schaffen, die in Teil Zwei, in dem die Protagonistin stumm und handlungsunfähig ist, selbst zu Wort kommt.

Im Gegensatz zu Rebecca ist Lucian eigentlich kein richtiger Protagonist. Er ist das Buch selbst, dass sich Seite um Seite fortschreibt. Am Anfang ist er ein leeres Blatt, hat keine Familie, keine Vergangenheit, keine Erinnerung. Aber es ist nicht so, dass man immer mehr Tatsachen von ihm erfährt, je weiter man blättert. Es sind immer nur Bruchstücke, mit denen Lucian, Rebecca und man selbst nichts Richtiges anfangen können, zumindest nichts als wilde Spekulationen. Die Auflösung gibt’s erst am Ende und darum muss das Buch einfach diesen Namen tragen …

Das Ende werde ich euch nun natürlich nicht verraten (zumindest den wenigen, die das Buch vermutlich noch nicht gelesen haben). Ich sage nur, es ist wunderschön und genau richtig. Mit einem Wort: unausweichlich. Es lässt einen zurück mit dem Gefühl, dass man schreiend durch den Wald laufen möchte … ;)

Fazit

„Lucian“ ist eines der besten Jugendbücher, die ich kenne. Es ist gefühlvoll, tragisch, aber auch witzig und sehr authentisch. Alles Fantastische ist so sachte und unmerklich in die Geschichte eingebettet, dass man kaum glauben kann, dass es nur Fantasie sein soll. Und wer sagt uns denn eigentlich, dass das, was die Autorin hier entwirft, nicht der Wahrheit entsprechen könnte.

Bewertung

Außer diesen 5 Sternen vergebe ich heute zum ersten Mal das Blaue Band.

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Isabel Abedi: Lucian | Arena Verlag | 550 Seiten | 978-3-401-06203-7 | 18,95 Euro

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7 Comments

  • Reply c.e 9. Juni 2012 at 21:46

    Das Buch schreit ja danach gelesen zu werden. Wenn ich endlich mal wieder Zeit habe, werde ich darauf zurückkommen ^^
    Vielen Dank für die schöne Rezension :)

    • Reply tintenmeer 9. Juni 2012 at 21:54

      Danke ♥ =)
      Kannst mir ja dann auch sagen, wie du es fandest. Ich kenne deinen Lese-Geschmack ja nicht so gut. ^.~

  • Reply Arya 13. Juni 2012 at 18:44

    Einen sehr schönen Literaturblog hast du da. :) Das trifft recht gut meinen Geschmack. Einen neuen Leser hast du also mehr. :) Und übrigens kann ich dir zustimmen – Lucian ist ein tolles Buch, auch wenn ich es nicht ganz sooo perfekt fande wie du. ;)
    Liebste Grüße!

    • Reply tintenmeer 13. Juni 2012 at 19:28

      Hey vielen Dank! =)
      Ich freue mich über jeden Nachwuchs meiner kleinen Leserschaft und wünsche dir viel Spaß beim Stöbern!

      Liebe Grüße
      Sandy

  • Reply Damaris 12. August 2014 at 12:56

    Liebe Sandy, ,
    Ich sage TOP zu dieser Rezension! Lucian ist mein #1 Lieblingsbuch. Ich war nach dem Lesen körperlich und seelisch so ziemlich am Ende, ich habe noch wochenlang an die Story gedacht. Ich habe das Ende am nächsten Tag nochmals gelesen und wieder Rotz und Wasser geheult. Bin auch so dankbar, dass ich das Bilderbuch „Wo die wilden Kerle wohnen“ gut aus meiner Kindheit kenne. Das hat die Story wunderbar ergänzt. Lucian ist ein Grund, warum ich meinen Blog begonnen habe (zu diesem Buch habe ich auch meine erste Rezi geschrieben – sie ist nicht sehr lesenswert, so ganz ohne Übung damals *g*).
    So, ich hab dich jetzt ganz schnell mal abonniert. Du schreibst super! Mach weiter so…
    Grüß dich lieb,
    Damaris

    • Reply tintenmeer 12. August 2014 at 18:44

      Hallo Damaris!

      Vielen, vielen Dank für dein großes Lob! Ich freu mich total, dass dir meine Rezension und vor allem mein Blog so gefällt! Fühl ich nur zu Hause. :)

      Liebe Grüße,
      Sandy

  • Reply Lucian // Isabel Abedi - Nellys Leseecke 23. August 2017 at 19:55

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