Nach einer schicksalhaften Zeit zieht das junge Mädchen Irene mit ihrer Mutter Simone und ihrem Bruder Dorian vom düsteren Paris in ein idyllisches Fischerdorf in der Normandie. Simone soll sich von nun an um den Landsitz des zurückgezogen lebenden Spielzeugfabrikanten Lazarus Jann kümmern. Cravenmoore ist ein gewaltiges Haus voller selbstgebauter Automaten und raffinierter Spielzeuge, aber es hegt auch ein dunkles Geheimnis. Und einige Räume dürfen nie betreten werden …
Rezension
Auch dieses Mal hat mich mein erster Eindruck nicht getrübt. Wenn man einen Zafón in der Hand hat – sei es nun ein „später“ oder ein „früherer“ – hat man mit Sicherheit ein wirklich gutes Buch. „Der dunkle Wächter“ gehört zu seiner „Nebel-Trilogie“ und ist, wie ich mal wieder erst hinterher mitbekommen habe, der dritte Teil dieser Reihe. Ich kann zwar im Moment nicht sagen, ob diese drei Bücher sehr stark miteinander zusammenhängen, aber ich kann zumindest bestätigen, dass man dieses Buch getrost lesen kann, ohne schon einmal etwas von den anderen Teilen gehört zu haben. Es ist in sich völlig logisch und erzählt eine abgeschlossene Geschichte. Außerdem glaube ich nach dem nunmehr vierten Buch dieses Autors wirklich, dass es vollkommen egal ist, in welcher Reihenfolge man diese liest. Am Ende verknüpft sich alles zu einem vielschichten Universum, zu Zafóns Welt, in die man hier und da eintauchen und ein Stück in ihr wandern kann.
Den Einstieg in die Geschichte macht ein Prolog, bestehend aus einem Brief, den Ismael an seine Freundin Irene schreibt. Man erfährt, dass sie sich an einem entfernten Ort befindet, an dem er sie nicht mehr erreichen kann. Freude über die gemeinsamen Erinnerungen, Einblick in sein derzeitiges Leben, Sehnsucht nach Irene und ein unheimlicher Schatten, der über der Vergangenheit liegt – in all das wird man von Anfang an hineingeworfen. Schon nach den ersten Seiten entspinnen sich tausend Fragen, deren Lösungen es im Buch zu finden gilt.
Die Figuren sind und bleiben bis zum Schluss Zafón-typisch. Glück und Tragik liegen immer so nahe beieinander. So ist es bei Irene, deren wirklich trauriges Schicksal sie von ihrer Heimat Paris wegträgt, um sie zu Ismael zu führen; Simone, deren gebrochenes Herz nur eine unmögliche Liebe findet und auch bei Lazarus, dessen Leben wohl als ein einziges Verhängnis bezeichnet werden könnte. Ich möchte nun natürlich nichts verraten, aber eines fragt man sich bei Zafóns Figuren wirklich unweigerlich und mit weinerlicher Stimme immer wieder: Wieso nur muss ihnen das denn immer passieren?
Irene hatte sich gerade ein paar Schritte von dem Tisch entfernt, als sie ein heftiges Beben unter ihren Füßen durch den Raum laufen spürte. Die Flammen im Kamin wurden schwächer, und einige Bände in den endlosen Regalreihen begannen zu zittern. Das Mädchen lief zu Ismael.
„Was zum Teufel …“, setzte er an, denn auch er nahm dieses deutliche Grollen wahr, das tief aus dem Inneren des Hauses zu kommen schien.
Im selben Augenblick klappte plötzlich das Buch auf, das Irene auf das Tischchen gelegt hatte. Das Kaminfeuer erlosch, von einem eisigen Lufthauch erstickt. Ismael schlang die Arme um das Mädchen und drückte es an sich. Von unsichtbarer Hand bewegt, begannen die Bücher in die Tiefe zu stürzen.
Zafón: Der dunkle Wächter, S.303f
Die Sprache ist bei Zafón ebenfalls eine besondere. Wer schon einmal eines seiner Bücher gelesen hat, wird wissen, was ich meine. In seinen „frühen“ Werken, wie das hier eines ist, sind die Ansätze von dem, was er in seinen letzten Romanen geleistet hat, schon zu erkennen. Es ist ein unheimlich poetischer Stil. Noch nicht so ausgereift, manchmal auch etwas übertrieben, aber ich zumindest kann Zafón dies verzeihen. Aufgefallen ist mir aber doch, dass er diesen Stil bei aller Poesie und bei manch wahrer Adjektivflut selbst ab und zu durchbricht, indem er Elemente eingebaut, die man nur als jugendlich flapsig bezeichnen kann. Ich fand das sehr erfrischend.
Eine kleine Anmerkung möchte ich noch machen. Ich habe die Bücher von Zafón wirklich bisher absolut querbeet gelesen, weiß aber normalerweise wenigstens ungefähr, in welcher groben Reihenfolge die Bücher geschrieben wurde. Ich habe öfter gelesen, dass einige Rezensenten die Bücher der Nebel-Trilogie schlecht bewertet haben, weil sie etwas wie „Der Schatten des Windes“ erwartet hatten und darum enttäuscht waren. Dieser Meinung möchte ich mich nicht anschließen. Und zwar aus zwei Gründen. Ersten handelt es sich hierbei tatsächlich um Jugendbücher. Ich möchte nicht behaupten, dass sie darum schlechter sind, aber doch vielleicht nicht derart komplex und vielschichtig wie Bücher für Erwachsene. Zweitens liegen zwischen diesem Buch und „Der Schatten des Windes“ sechs Jahre. In einer solchen Zeitspanne wird sich ein Autor weiterentwickeln, verbessern und verändern.
Fazit
„Der dunkle Wächter“ ist ein sehr spannendes, aber auch düsteres Jugendbuch. Die Sprache ist wunderschön und sehr poetisch – manchmal ist es auch etwas zu viel des Guten –, aber auch hin und wieder flapsig und sehr ehrlich. Jugendliche und die, die immer noch gern Jugendliteratur schmökern, werden sicher eine schöne Zeit in der Normandie 1936 verbringen können.
Bewertung
Carlos Ruiz Zafón: Der dunkle Wächter | Fischer Verlag | 344 Seiten | 978-3-596-85388-5 | 17,95 Euro
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