labyrinth der wörter
Bücherschrank

{Rezension} Das Labyrinth der Wörter von Marie-Sabine Roger

Klappentext: Germain ist ein Bär von Mann und nicht der Schlauste. Als er im Park eine reizende alte Dame kennenlernt, wird sein Leben auf den Kopf gestellt. Denn die feinsinnige Margueritte beschließt, den ungebildeten Hünen für die Welt der Bücher zu gewinnen.

Rezension

In den letzten Augusttagen habe ich mich einem kleinen Büchlein von gerade einmal 200 Seiten gewidmet, das schon einige Monate bei mir subt. Gesehen habe ich es zum ersten Mal beim Messestand von Hoffmann und Campe 2010 (?) und seitdem wollte ich es schon haben. Allerdings hat es einen unverschämten Preis und darum durfte es nicht bei mir einziehen. Anfang des Jahres habe ich es dann als günstiges Mängelexemplar (bester Zustand) beim Weltbild Lagerverkauf in Augsburg erbeutet.

Mit einer total romantischen Vorstellung habe ich mich an die Lektüre gemacht und irgendwas wie die Bücher von Alan Bennett erwartet. Das hat genau bis Seite fünf oben angehalten. Spätestens bei den vulgären Sätzen, die das erste Kapitel schließen, war mir klar, dass ich mich schnellstens von diesem Vorurteil befreien musste. Ich habe im Kopf erst mal alles gestrichen, was ich vorher gedacht habe, und das Buch noch einmal neu angefangen. Am Ende fand ich es toll, allerdings muss ich sagen, dass ich den Titel nicht mehr wirklich passend finde.

Kurzum: Auch wenn Margueritte ganz harmlos wirkte mit ihrem freundlichen Gesicht und ihren Schachtelsätzen, sagte ich mir, dass auch sie mich eines Tages bestimmt behandeln würde wie einen armen Trottel. Aber sie hat immer mit mir geredet, als wär ich jemand.
Und das, verstehen Sie, das macht einen ganz neuen Menschen aus einem.

Roger: Das Labyrinth der Wörter, S. 115

Germain, der Protagonist und Ich-Erzähler, kann kaum lesen und verbringt sein Leben mit Nichtigkeiten, One-Night-Stands und Aushilfsjobs. Er lebt in einem Wohnwagen auf dem Grundstück seiner Mutter und geht in seinem Gemüsegarten auf. Eines Tages trifft er Margueritte, eine ältere Dame, im Park. Beide haben den sinnlosen Drall die Tauben zu zählen. Auf diesem gemeinsamen Interesse beginnt ihre Freundschaft, die Germain in seiner Denkweise und schließlich in seinem Verhalten und der Art zu erzählen verändert. Er beginnt, über sich, sein bisheriges Leben und besonders seine Kindheit nachzudenken, erinnert sich immer wieder an Anekdoten aus der Vergangenheit und schließlich sind es diese Ereignisse, um die die Geschichte kreist. Die Episoden, in denen Margueritte mit Germain zusammen ist, in denen sie sich mit ihm unterhält oder ihm vorliest, sind unglaublich selten und kurz. Allerdings fand ich das nicht so schlimm, denn diese Passagen sind auch nicht wirklich aussagekräftig. Um ehrlich zu sein, fragte ich mich, wieso diese inhaltslosen Gespräche und Plattheiten Germain überhaupt zum Denken anregen. Es kann nur der Literatur geschuldet sein, die Margueritte vorliest oder die sich Germain aus der Bücherei ausleiht. Margueritte soll eine sehr gebildete, ältere Dame mit einem ganzen Sack voll Lebenserfahrung sein – ich habe mich nur die ganze Zeit gefragt, wieso sie nichts davon mit Germain teilt. Mittlerweile halte ich Margueritte nicht mehr für das, was sie für Germain zu sein scheint. Sie ist eher eine alte, senile Dame, die keine Freunde und keine Familie mehr hat. In ihrer Freizeit zählt sie Tauben im Park. Hallo? Der einzige Grund, wieso man sie für die „kluge, verständnisvolle Lehrerin“ hält, ist weil Germain es tut. Allerdings ist der in seinem Erfahrungsschatz genauso eingeschränkt wie bei seinen Worten. Schließlich nennt er sie schon am Ende der ersten Begegnung seine Vertraute, was sicherlich ihrer beider Ähnlichkeit geschuldet ist. Die Rollenverteilung, die auch im Klappentext lanciert wird, ist nur von Germain herbeigewünscht.

Schließlich ist es eher eine Erzählung, die dem Leser Einblick in das Leben eines Menschen gewährt, der es von Anfang an nicht einfach hatte: von der Mutter ungewollt, von Lehrern unverstanden, von Mitschülern gemobbt hat es Germain nie geschafft, das zu tun, was er eigentlich wollte. Margueritte ist der erste Mensch, der ihm offenbar mit einem gewissen Maß an Verständnis begegnet und setzt so eine innere Veränderung in Gang. Für mich war es einfach spannend zu lesen, was Germain schon alles passiert ist, wie er und die anderen Menschen immer wieder aneinanderecken und keinen gemeinsamen Nenner finden und wie er es schließlich schafft, doch einen Weg in der Welt zu finden.

Die Sprache des Buchs passt zu dem ungehobelten Protagonisten. Sie ist ungeschliffen, unzensiert, ehrlich und entwickelt dadurch eine ganz eigene Art der Poesie. Nur eben eine andere als man bei dem Titel erwarten würde. Ich hatte gedacht, dass sich die teilweise sehr vulgäre Ausdrucksweise des Protagonisten im Verlauf der Geschichte ändern würde, dass sich seine innere Entwicklung auf diese Weise auch nach außen niederschlagen würde, aber dies ist hier so schwach, dass man es kaum wahrnimmt. Lediglich an manchen Stellen wird man von Germain unsanft darauf hingewiesen, etwa an der Stelle, wo er erkennt, dass er nicht mehr „vögeln“, sondern „Liebe machen“ sagt. Es wäre einfach eine sehr passende Möglichkeit, ein neuer Aspekt in dieser Erzählung gewesen, aber diese Ebene sollte wohl nicht bedient werden. Naja, vielleicht ist es aber am Ende auch ganz realistisch, dass Germain seinen Ton nur minimal anpasst. Schließlich ist doch die Idee, dass er diese Geschichte mit eben diesen Worten verfasst hat, die größte Entwicklung.

Fazit

„Das Labyrinth der Wörter“ ist eine völlig andere Geschichte, als man erwartet, und sie ist in ganz anderen Worten geschrieben, als man denkt. Trotzdem vermag sie zu fesseln und sie zwingt einen dazu, sich von der romantischen Idee der Literatur zu verabschieden. Sie erzählt realistischer und nicht poetisch verklärt vom Leben und den Menschen und davon, wie ungerecht die Welt manchmal ist. Dennoch verspricht sie Hoffnung und Germain zeigt – auf seine Weise –, dass man am meisten erreicht, wenn man sich aufrafft und seinen eigenen Weg sucht.

Bewertung

Marie-Sabine Roger: Das Labyrinth der Wörter | Hoffmann und Campe | 205 Seiten | 978-3-455-40254-4 | Originaltitel: La tête en friche | 18,00 Euro

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3 Comments

  • Reply booksandmore81 3. September 2012 at 11:03

    hallo :-)
    also ich hab das buch auch gelesen, in der taschenbuchausgabe mit filmcover (ich liebe filmcover :-) )
    und mir hat es auch sehr gefallen. sicherlich sind manche ausdrücke gewöhnungsbedürftig, aber das buch hat definitiv in mir die neugier auf dern film geweckt :-)

    • Reply tintenmeer 3. September 2012 at 13:18

      Hallo,

      ja die Ausdrücke sind manchmal ganz schön krass. Vor allem rechnet man einfach gar nicht damit. Aber wenn man sich drauf eingestellt hat, dann kann man nicht mehr aufhören zu lesen. =)

      Liebe Grüße
      Sandy

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