Quicktipp

Der Geschmack von Apfelkernen von Katharina Hagena

In Katharina Hagenas Debüt zersplittert eine ganze Familiengeschichte in Erinnerungsfragmente, die jäh aufblitzen und erst nach und nach einen Sinn ergeben.

Iris kommt nach dem Tod ihrer Großmutter Bertha in deren Haus zurück, in dem sie viele Sommerferien verbracht hat. Wie die meisten Familiengeschichten ist auch ihre von Geheimnissen, Intrigen und Dramen geprägt. Liebe und Glück und Enttäuschung und Schicksalsschläge gehen Hand in Hand. In einer wilden Mischung zwischen heute und damals erzählt Katharina Hagena die Geschichten von Iris und ihren Cousinen, von ihrer Mutter, ihren Tanten und ihren Großeltern.

Das zentrale Element, das viele Erinnerungen prägt, ist die Demenzerkrankung der Großmutter, der schrittweise Verfall, das Vergessen und schließlich das Verschwinden. Hagena fängt die Stimmung und die Bewegtheit ein, das Dumpfe, das weiße Rauschen, wenn auf einmal jemand fehlt. Das Wichtige an diesem Buch ist nicht die Geschichte, sondern das, was dahinter wacht. Aber es wird nicht für jeden Leser etwas sein. Schnell könnte es als langweilig oder kitschig abgetan werden. Ohne Zweifel sind einige Passagen kritisch, unrealistisch, vielleicht verwirrend und der Einstieg ist nicht leicht. Dennoch schreibt die Autorin so bildlich, so heraufbeschwörend und spricht alle Sinne an, sodass man kaum anders kann, als sich selbst mit hineinzulesen, eigene Erinnerungen zu beschwören.

Allmählich wurden die Botschaften immer sonderbarer: „Badeanzug im Ford“, aber zu der Zeit hatten sie gar keinen Ford mehr, und dann immer wieder „Bertha Lünschen, Geestestraße 10, Bootshaven“. Irgendwann nur noch „Bertha Deelwater“, doch da waren es schon weniger Zettel geworden. Bertha. Bertha. Als müsste sie sich vergewissern, dass es sie noch gab.

– Hagena: Der Geschmack von Apfelkernen, S.145

Katharina Hagena: Der Geschmack von Apfelkernen I Kiepenheuer & Witsch I 256 Seiten I 978-3-462-04149-1 I 8,95 Euro

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