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{Rezension} Herbstbringer von Björn Springorum

Emily ist 15 Jahre alt, doch an das meiste in ihrem jungen Leben kann sie sich nicht erinnern. So beginnt ihre persönliche Zeitrechnung erst jetzt mit ihrer Adoption, die sie in eine liebevolle Familie bringt und ihr sogar eine Schwester und eine junge Liebe beschert. Doch das Glück währt nicht lange. Viel zu schnell wirft Emilys verschüttete Vergangenheit ihren Schatten über das neue Leben in Woods End und der Herbst kommt in diesem Jahr viel schneller als gewöhnlich.

Rezension

Mit jedem Schritt bringt sie den Herbst

Im  Oktober 2013 erschien mit „Herbstbringer“ das atmosphärische Debüt von Björn Springorum im Baumhaus Verlag. Cover und Klappentext versprechen eine magisch herbstliche Geschichte für Leserinnen und Leser ab 14 Jahre. Der Autor liebt düstere Musik und das viktorianische Zeitalter. Hier riecht es nicht nur nach duftendem Herbstlaub, sondern auch nach fesselndem Suchtpotential. Aber kann der Titel halten, was er so euphorisch verspricht?

Der Beginn, in dem der schreckliche Augenblick beschrieben wird, in dem jemand lebendig begraben wird, weiß definitiv zu fesseln und zu begeistern. Auch im Folgenden kommt so richtig schöne Mystery-Herbststimmung auf, denn Emily lebt sich in ihrer neuen Umgebung ein und versucht, etwas über ihre Vergangenheit zu erfahren; gleichzeitig welkt der Sommer schnell dahin.

„Das Blatt in Emilys Händen veränderte seine Farbe. Erst wurde es dezent gelblich, dann wandelte es sich in immer kräftigere Rottöne und verkam schließlich zu einem braunen, vertrockneten Etwas.
Emily ließ das Blatt los. Augenblicklich trug der Wind es davon. Als würde er die Ernte einholen, wehte er von Baum zu Baum und befreite jeden in unnachgiebiger Entschlossenheit von seinen sterbenden Blättern.“ (S.218)

Mit mehreren verschiedenen Erzählebenen verleiht Springorum seiner Geschichte eine interessante Dynamik und baut Spannung auf. Dass er ein kleines bisschen wortverliebt ist, soll kein Geheimnis sein. Sein Schreibstil, in dem eine gewisse Poetik steckt, macht „Herbstbringer“ zu einem atmosphärischen Lesegenuss, der immer wieder besondere Stellen bietet; vor allem natürlich in den Wetter- und Naturbeschreibungen. Allerdings übertreibt er es auch nicht, wodurch eine schöne Mischung entsteht.

Dem Sirenengesang erlegen

Spannung, Dynamik und tolle Beschreibungen: Springorum hält in der ersten Hälfte von „Herbstbringer“ zielstrebig den Kurs in Richtung „klasse Buch“. Doch leider scheint er selbst den von ihm beschriebenen Sirenen zu erliegen. Zwar entkommt er dem Schiffbruch gerade so, aber nicht unbeschadet.

Zwei der interessanten Erzählebenen vom Anfang fallen nun weg, die von Emily bleibt natürlich bestehen, die von Antagonist Michael gewinnt an Bedeutung. Zwar bleibt so eine gewisse Dynamik erhalten, doch mit beiden Figuren ist eine starke Passivität verbunden: mit Emily, weil sie nicht handeln kann, und mit Michael, weil er nicht will. Somit stagniert die ganze Handlung stark und Leser und Figuren dürfen erst mal im Wartezimmer Platz nehmen. Besonders das Sinnieren über Gott und die Welt, wem zu trauen ist, was zu tun ist … steht im Vordergrund. Erst auf den letzten Seiten wird die weitere Handlung erzwungen, ist aber nicht besonders überraschend.

Obwohl zu Beginn eher weniger davon zu spüren ist, vollzieht „Herbstbringer“ schließlich die Wandlung zum Vampir-Roman. Manch einer könnte davon abgeschreckt sein. Mich persönlich hat das nicht gestört. Ich mochte das Thema und die Mysterien schon immer sehr gern, vor allem weit abseits von Twilight und Co. Und trotzdem bin ich in Springorums Buch damit nicht richtig glücklich geworden, denn trotz aller Erklärungen wollen sich für mich der Herbstbringer-Faden und der Vampir-Faden einfach nicht zu einem schönen Geflecht verweben.

Die Messlatte liegt zu hoch

Ein Punkt, der mich dagegen sehr gestört hat, sind die Parallelen zu Christoph Marzis Uralte Metropole-Reihe, die mir ein wenig zu offensichtlich sind. Wo Marzi seinem Waisenmädchen Emily Laing eine sehr komplexe, nicht auf den ersten Blick durchschaubare Hintergrundgeschichte und besondere Persönlichkeitsmerkmale verpasst hat, scheitert Springorum.

Emily Lanceheart fehlt einfach die Originalität, die sie von Marzis Figur absetzt und ihr etwas ganz Eigenes verleiht. Ebenso konnte der Autor den unheimlichen und monströsen Gefahren beherbergenden Katakomben Londons, der Stadt unter der Stadt, nicht den gleichen Reiz verschaffen.

Aber hier enden die Ähnlichkeiten nicht. Viele, viele Kleinigkeiten fallen immer wieder negativ auf. Von der verzaubernden Geigenmusik über die gefährlichen Erzengel bis hin zu sehr skurrilen Helferfiguren. An dieser Stelle hätte ich mir sehr gewünscht, der Autor hätte sich stärker von seinen offensichtlichen Vorbildern lösen können, bietet London als Handlungsort doch so viele Möglichkeiten.

Fazit

Mit dem Beginn und der ersten Hälfte von „Herbstbringer“ konnte mich Björn Springorum vollkommen überzeugen. Spannung, Dynamik und tollen Beschreibungen: Der Mann hat es wirklich drauf. Doch was dann passiert ist, vermag ich nicht zu erklären.

Das hübsche Schiff, das der Autor so zielsicher navigiert hat, kam vom Kurs ab, und zwar so richtig. Die Spannung wurde zerredet, die Fäden wollten nicht mehr richtig ineinandergreifen und selbst die eigenen Ideen sind ihm irgendwann abhanden gekommen. Schade!

Bewertung

drei_sterne

Björn Springorum: Herbstbringer | Taschenbuch | 382 Seiten I Baumhaus I 978-3-8432-1065-2 I 8,99 Euro | Amazon

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3 Comments

  • Reply absinthefreund 11. März 2014 at 12:52

    Schöne Rezension! Ich hätte es nicht anders sagen wollen. Ich glaube, wir haben die Lektüre sehr ähnlich erlebt.

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