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{Feature} Die Geschichte des Kinderbuchs Teil 1

Hallo und willkommen beim Kinderbuch-Spezial im Tintenmeer. In den nächsten Wochen darfst du dich jeden Donnerstag über einen Beitrag aus dieser Artikelreihe freuen. Interviews, Rezensionen, Buchtipps und Artikel rund um die Welt der Kinderbücher habe ich zu einem Feature zusammengestellt, das häppchenweise serviert wird. Heute starten wir mit Grundlegendem, nämlich der Geschichte des Kinderbuchs. Da diese jedoch nicht erst gestern beginnt, sondern schon vor vielen Hundert Jahren, habe ich mich entschlossen, diesen sehr langen Artikel in drei Teile zu gliedern. Reisen wir jetzt also zunächst um gute 500 Jahre in der Zeit zurück …

Am Anfang des Kinderbuchs war der Buchdruck

Bis weit in die Neuzeit, die im 15./16. Jahrhundert begann, waren die meisten Menschen Analphabeten und Bücher ein Gut für Gelehrte und Geistliche – also für einen recht kleinen Teil der Bevölkerung. Die Erfindung des Buchdrucks (Gutenberg ca. 1450) und die damit fortschreitende Alphabetisierung setzen zwar allmählich eine Änderung in Gang, bis zur Popularität, die das Kinderbuch heute hat, war es aber noch ein sehr langer Weg – nicht nur der Verbreitung gedruckter Texte wegen, sondern auch weil zuvor ein Umdenken über den Status des Kindes selbst stattfinden musste.

Es gab natürlich Sagen, Märchen, Überlieferungen, die verbreitet wurden. Es gab in dem Sinne aber keine Kinderbuchliteratur in dieser Zeit. Salopp gesagt gab es aus pädagogischer Sicht nicht einmal Kinder. Sie wurden als „kleine Erwachsene“ angesehen. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Kindheit als eigenständiger Lebensabschnitt anerkannt. Einen Anteil daran hatte Jean-Jacques Rousseau mit deinem Buch „Emil oder Über die Erziehung“ (1762).

Mit diesem neuen Denkansatz konnte sich auch eine Literatur speziell für Kinder entwickeln. Diese sollte selbstverständlich einen erzieherischen und keinen unterhaltenden Wert haben. In den „Exempelgeschichten“ dieser Zeit werden Kindern Situationen (z.B. in der Familie) vor Augen geführt, die ihnen Anleitung geben, wie sie sich verhalten sollten – oder eben nicht bei abschreckenden Beispielen. Christian Felix Weiße publizierte von 1775 bis 1782 die erste deutsche Kinderzeitschrift „Der Kinderfreund“ in 24 Bänden. Außerdem etablierte er die Gattung des Kinderschauspiels, das auf spielerische Weise moralische Werte vermitteln sollte. Auch der erste populäre Klassiker der Kinderliteratur entstand in dieser Zeit: Joachim Heinrich Campes Robinsonade „Robinson der Jüngere“. (!) Als Robinsonaden bezeichnet man Literatur und Filme, die das Motiv der Isolation auf einer Insel verarbeiten. Der Begriff ist eine Anlehnung an Robinson Crusoe von Daniel Defoe. (!)

Erste Sach- und Schulbücher für Kinder entstanden ebenfalls zu dieser Zeit. 1658 veröffentlichte der tschechische Philosoph und Theologe Jan Ámos Komenský „Orbis sensualium Pictus“ („Die Sichtbare Welt in Bildern“), welches Kinder durch Bilder und Beschreibungen mit der Welt vertraut machen sollte. Um 1750 entstand die Fibel (ABC-Buch), aus Pappe und nur wenige Seiten umfassend.

„Und Minz und Maunz, die Katzen,
erheben ihre Tatzen.
Sie drohen mit den Pfoten:
Der Vater hat‘s verboten!“

– Struwwelpeter von Heinrich Hoffmann

In England und Amerika wurden im 17. und 18 Jahrhundert von den Puritanern stark moralistische Bücher verbreitet. Aufgrund der hohen Kindersterblichkeit sollten diese Kinder mit dem Tod vertraut machen und sie belehrend davor bewahren, in der Höllenverdammnis zu landen. Im deutschen Sprachraum stand der erzieherische und moralistische Gedanke ebenso bis ins späte 19 Jahrhundert im Mittelpunkt. Ab 1750 wurden religiöse Aspekte aber immer mehr verdrängt und versteckt. In der Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ (1805-1808) von Achim von Arnim und Clemens Brentano wird auf Belehrung sogar vollständig verzichtet.

Eines der berühmtesten Bücher aus dieser Zeit ist der Struwwelpeter (1845) des Frankfurter Arztes und Psychiaters Heinrich Hoffmann. Es ist auch heute noch populär und in vielen Haushalten zu finden, auch wenn jüngst der autoritäre Erzählstil und die drastischen Ereignisse (das Fehlverhalten der Kinder im Buch führt teilweise sogar zum Tod) auf Kritik stoßen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts macht die Gattung Kinderbuch den Twist hin zu dem, das wir heute kennen. Fantasie- und Abenteuergeschichten, die auch der Unterhaltung dienen, erobern die Welt. Dazu mehr im zweiten Teil dieser Post-Reihe über die Geschichte des Kinderbuchs.

Weiterlesen bei Teil 2 des Kinderbuch-Spezials

Bilderquelle: freepik.com

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1 Comment

  • Reply {Feature} Abschied von Aika von Min-ki Kim & Mun-heeKwon - Tintenmeer 18. Juni 2018 at 22:09

    […] der Theorie zum Kinderbuch geht es nun zum Lesestoff. Den Anfang macht ein Bilderbuch, das – im Gegensatz zu den meisten […]

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