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{Feature} Die Geschichte des Kinderbuchs Teil 3

Selbe Zeit (Donnerstag), selber Ort (im Tintenmeer): Wir sind verabredet – zum dritten, aber nicht letzten Mal. Heute gibt es hier den abschließenden Teil meines geteilten Beitrags über die Geschichte des Kinderbuchs. Ich hoffe, euch haben die letzten 500 Jahre Spaß gemacht und ihr habt vielleicht das eine oder andere erfahren, das ihr noch nicht wusstet. Eine richtige Zeitreise ist heute indes nicht dran, denn so weit zurück müssen wir nun gar nicht mehr!

Avada Kedavra statt Ene mene mei

Harry Potter hatte einen Hype ausgelöst, und zwar nicht nur bei jungen Leserinnen und Lesern, sondern auch bei Erwachsenen. Bei Erscheinen eines neuen Bands wurden Buchhandlungen belagert, Hexen und Zauberer standen sich Zauberstab wedelnd in der dunklen Nacht die Beine in den Bauch. Jeder wollte der Erste sein, wenn es darum ging zu erfahren, wie es mit dem Auserwählten und dem Kampf Gut gegen Böse weiterging.

Aber halt. So weit sind wir in der Geschichte noch nicht. Es ist gerade erst 1968, eine Zeit der Bewegung und der Revolution, und Harry Potter hat noch eine Schonfrist, bis er gegen Voldemort antreten muss. In der Literatur für Kinder stehen verstärkt realistische und sozialkritische Themen auf dem Plan. Christine Nöstlinger und Peter Härtling werden zu wichtigen Autoren. Ebenso Christiane F. mit ihrer autobiographischen Erzählung „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (1979). Tabus und schwierige Themen wie Behinderung, Alkoholismus, Sexualität, Krankheit, Verlust und Tod fanden Eingang in die populäre Kinderliteratur – wobei die Grenze zwischen dem jungen und erwachsenen Leser immer mehr verwischte. Gudrun Pausewang  schrieb „Die Wolke“ (1987) und verarbeitete darin den Reaktorunfall im Atomkraftwerk Tschernobyl sowie die Folgen eines atomaren GAUs. Auch die Zeit des dritten Reichs wurde von vielen Autoren verarbeitet: Tilde Michel erzählt in „Freundschaft für immer und ewig?“ (1989) von den Freundinnen Susi und Esther. Inge Auerbacher in „Ich bin ein Stern“ von ihrer Kindheit im Konzentrationslager Theresienstadt.

Die 1990er Jahre machen den modernen Adoleszenz-Roman populär. Darin berichten junge Erzähler (etwa im Alter ab 12 Jahren) vom Erwachsenwerden, von den Schwierigkeiten, die damit zusammenhängen, und vom Suchen und Finden der eigenen Identität. Was 1951 Holden Caulfield (Der Fänger im Roggen von J.D. Salinger) war, ist nun Benjamin Lebert in „Crazy“ oder Chris und Omek in „Relax“ von Alexa Hennig von Lange.

Harry ergriff den Zauberstab. Plötzlich spürte er Wärme in den Fingern. Er hob den Stab über den Kopf und ließ ihn durch die Luft herabsausen. Ein Strom roter und goldener Funken schoss aus der Spitze hervor wie ein Feuerwerk, das tanzende Lichtflecken auf die Wände warf. Hagrid johlte und klatschte, und Mr Ollivander rief: „Aah, bravo. Ja, in der Tat, oh, sehr gut. Gut, gut, gut … Wie seltsam … Ganz seltsam …“

– J.K.Rowling: Harry Potter und der Stein der Weisen, S.95

Auch die Fantastik war auf dem Siegeszug, allerdings schon seit etwas längerer Zeit, nämlich wenigstens seit den 70ern. Ottfried Preußler veröffentlichte 1971 „Krabat“, Christine Nöstlinger 1972 „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ und Michael Ende 1973 „Momo“. Letzterer schaffte es mit dem 1979 erschienenen „Die unendliche Geschichte“ als erstes Kinderbuch auf die Spiegel-Bestsellerliste. Er schickte mit Bastian nicht nur seinen Helden, sondern den Leser selbst auf eine Reise in eine fantastische Welt. Die damit erschaffene Erzähltechnik, die Figur und Leser verschmelzen lässt, wurde später in vielen Kinderbüchern angewendet. Auch international war die Fantastik nicht zu bremsen. J.R.R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“ erschien in den 1950ern, die Vorgeschichte „Der kleine Hobbit“ schon 1937. In Deutschland kamen die Titel erst mit großer Verspätung, in den 1960er Jahren, auf den Markt.

Und 1997 war es so weit. J.K. Rowling schickte Harry Potter ins Rennen, trifft den Nerv der Zeit und macht sich damit zu Millionärin. Es erscheinen in den folgenden Jahren bis 2007 insgesamt sieben Bücher. Der Clou bei dem Ganzen war, dass die jungen Leserinnen und Leser Zeit hatten, mit ihren liebsten Protagonisten mitzuwachsen, denn so wie sie, werden auch die Zauberschüler in jedem Band ein Jahr älter. Figuren und Leser sind so in dieser Zeit immer auf Augenhöhe. Der Hype um den kleinen Zauberer kreiert einen vollkommen neuen Markt. Nicht nur die Bücher gehen bei Jung und Alt wie geschnitten Brot, sondern auch die Verfilmungen, Vertonungen und Merchandise-Artikel. Das Buch steht nicht mehr allein für sich, sondern muss sich auf einmal gegen seine eigene Multimedialität durchsetzen. Das bringt nicht nur vielfältigere Rezeptionsmöglichkeit mit sich, sondern auch ganz neue Herausforderungen für Verlage – bis heute.

Die britische Autorin bleibt nicht allein auf dem Thron. 2005 veröffentlicht beispielsweise Stephenie Meyer der ersten Band ihrer Buchreihe. „Twilight“ und die Fortsetzungen werden zu einem ähnlichen Überflieger auf dem internationalen Markt, Filme folgen den Bücher. Und auch wenn Meyer Rowling schriftstellerisch nicht das Wasser reichen kann, trifft sie mir ihrer Geschichte doch so sehr den Nerv der jungen und erwachsenen Leser(innen), dass sie heute – laut der „Times“ – zu den einflussreichsten Personen weltweit gehört.

Auch Deutschland hat in diesem Bereich aber einiges zu bieten: Kai Meyer, Isabel Abedi und Christoph Marzi sind hierzulande ebenfalls sehr erfolgreich – um nur einen Bruchteil zu nennen. Die Geschichten von Cornelia Funke („Tintenherz“), Kerstin Gier („Rubinrot“) und Franziska Gehm („Die Vampirschwestern“) schafften auch den Sprung auf die große Leinwand

Der Beitrag über die Geschichte des Kinderbuchs endet an dieser Stelle, doch sein Ende ist noch längst nicht geschrieben.

Sicher ist es längst aufgefallen. Ich habe in Laufe dieses Beitrags keine scharfe Linie zwischen „Kinderbuch“ und „Jugendbuch“ gezogen. Und zwar weil die Grenze so fließend ist. Ganz zu Beginn gab noch gar keine „Kinder“ aus pädagogischer Sicht und heute versucht man, alles in irgendwelche Altersgruppen zu zwängen: ab 3, ab 6, ab 11, ab 14 … und nicht zu vergessen „all-age“, was seit den 90er Jahren so richtig auf dem Vormarsch ist. Wo hört man auf, einen Menschen als Kind zu definieren? Meiner Meinung nach gibt es dafür keine pauschale Antwort. Schon allein deshalb nicht, weil sich jedes Kind unterschiedlich schnell entwickelt. Während der eine Elfjährige gerade schon den letzten Band von Rowlings „Harry Potter“ (hier ist der Zauberschüler 17 Jahre alt) begeistert verschlungen hat, ist die nächste Dreizehnjährige mental noch gar nicht soweit, den ersten Band zu beginnen.

Ich hoffe, euch hat mein kleiner – hoffentlich kurzweiliger – Streifzug durch die Geschichte des Kinderbuchs gefallen. Natürlich konnte ich hier und da nur einen kleinen Abstecher machen und das eine oder andere Buch nur leicht berühren. Wenn ihr euch noch weiter mit dem Thema beschäftigen möchtet, findet ihr am Ende des Post eine Liste mir Links, die noch viele, viele Informationen dazu bieten. Natürlich endet meine Spezial hier im Tintenmeer nicht mit diesem Beitrag: Es fängt gerade erst an. Weiterhin wird es donnerstags einen Post zum Thema geben. Es warten noch interessante Buchtipps, Rezensionen, Interviews und Artikel aus dem Bereich der Kinderbücher auf euch.

Bis zum nächsten Mal!

Bilderquelle: freepik.com

Quellen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Kinder-_und_Jugendliteratur
http://www.mundoazul.de/geschichte-kinderliteratur
http://www.buecher-wiki.de/index.php/BuecherWiki/Kinder-UndJugendliteratur
http://www.planet-wissen.de/kultur_medien/literatur/kinderliteratur/ 

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1 Comment

  • Reply {Feature} Die Geschichte des Kinderbuchs Teil 2 - Tintenmeer 18. Juni 2018 at 21:40

    […] Weiterlesen bei Teil 3 des Kinderbuch-Spezials […]

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