Ist schon wirklich schon wieder ein Monat vergangen? Wow. Damit ist es schon wieder „Schätzezeit“ und diesmal wird es gleich zweimal düster. Sandy stellt ein außergewöhnliches, psychologisches Buch mit ernstem Thema vor und ich einen Jugendthriller, der sich gewaschen hat! Viel Spaß mit unseren Tipps! ;)
Sandys verborgener Schatz
„Der Zementgarten“ von Ian McEwan
Das Buch, das ich euch heute vorstellen möchte, ist für mich – im weitesten Sinne – ein Sommerbuch. Aber es ist nicht bunt und warm und flirrig, sondern eher drückend und schwer wie ein richtig heißer Tag. Diese Gegensätzlichkeit spiegelt sich auch im Titel wieder – ein Garten aus Zement eben. Es geht um die vier Geschwister Jack, Julie, Sue – alles Teenager – und der sechsjährige Tom. Ihr Vater war körperlich nicht mehr in der Lage, sich um den Garten zu kümmern und beschloss daraufhin, ihn zu betonieren. Während dieses körperlich anstrengenden Vorhabens stirbt er jedoch – und hinterlässt eine Menge Zement. Nur ein Jahr darauf verstirbt auch die Mutter. Da sie schon lange sehr krank war, haben die älteren Geschwister Jack und Julie bereits viel im Haushalt übernommen und kümmern sich um die Kleineren. Aus Angst, nun auseinander gerissen und auf Pflegefamilien verteilt zu werden, beschließen die vier, das Ableben der Mutter zu vertuschen. Zwar wird Mama nun fein säuberlich im Keller in einer Kiste einzementiert, dass dies aber für die Geschwister psychisch kein einfaches Ding ist, bringt Ian McEwan durchaus rüber. Von nun an manifestiert sich im Haus eine neue kleine Welt, und weil Sommerferien sind, kann sich die kleine Familie völlig ungestört von der Außenwelt neu ordnen. Besonders Jack und Julie verinnerlichen mehr und mehr die Elternrolle – mit allen Konsequenzen.
„Als sie die erste Schaufel voll nassen Zement über Mutters Füße ausleerte, tat Sue einen kleinen Schrei. Und dann, als Julie die Schaufel neu auflug, ging Sue schnell zu dem Haufen hinüber, hob soviel Zement auf, wie ihre beiden Hände fassten, und warf ihn in die Kiste. Und dann warf sie Zement hinein, so schnell sie nur konnte.“
– Ian McEwan, Der Zementgarten, S.93
Ich finde dieses Buch gehört unbedingt zu denen, die man im Leben einmal gelesen haben sollte und die dann mit Sicherheit im Gedächtnis bleiben. Aber Vorsicht, es ist wirklich keine leichte Kost. Ian McEwan verarbeitet auf nur 200 Seiten eine ganze Batterie an selbst schon komplexen Themen: Es geht um Gewalt, Einsamkeit, das Erwachsenwerden, die Bewältigung des Todes und das Trauma, das damit einhergehen kann, die sowieso schon schwierige Pubertät und die damit beginnende Sexualität. Das klingt jetzt alles hochkompliziert. Beim Lesen ist es das aber gar nicht. McEwan schreibt sehr angenehm, eher nüchtern, aber nicht oberflächlich. Der erste Eindruck ist beim Lesen, glaube ich, immer: „Man sind die schräg!“ Man muss sich darauf einlassen, denn die Geschichte ist eben doch echt abgedreht, makaber, aber – und das muss man als Autor erst einmal schaffen – nachvollziehbar. Das ist es, was mich so an die Geschichte gefesselt hat. Hinter dem Geschehen steckt irgendeine verkorkste Logik. Zumindest für mich. Ich war einfach fasziniert von der Entwicklung, die die Geschichte nimmt. Und vor allem fasziniert mich immer, wenn der Mensch den Point of no Return erreicht, ihn überschreitet und sich alle Wahrheiten, alle Weltanschauung plötzlich in die neue Wirklichkeit einpassen.
Der Autor hat auch eine Homepage.
Kristinas verborgener Schatz
„Dangerous Girls“ von Abigail Haas
„Sie dürfen die Insel nicht verlassen.“ Ellingham sieht mich an, als hätte ich das selbst wissen müssen. „Es wird zu den Kautionsbedingungen gehören. Sie müssen bis zur Verhandlung hierbleiben.“ Eifrig nickte ich. Alles, nur raus aus diesem Gefängnis. Seit meiner Verhaftung bin ich in Einzelhaft, fünf lange Tage habe ich nur unfreundliche Wärter gesehen und gelegentlich aus der Ferne andere Gefangene, wenn man mich zwischen dem Hof und der Zelle hin und her transportiert hat. Es ist zu heiß, um schlafen zu können, und jede Nacht liege ich zusammengekauert unter meiner dünnen Wolldecke, zähle die Risse in der Decke und hoffe, aufzuwachen und festzustellen, dass alles nur ein Traum ist. Aber das ist es nicht.
– Abigail Haas: Dangerous Girls, S. 24
Ich bin immer noch in Thriller-Laune und ich hoffe es langweilt euch nicht, dass ich euch nach „Sommerpest“ gleich noch einen sommerlich-düsteren Jugendthriller präsentiere. Tada: Vorhang auf für „Dangerous Girls“!
Das Buch wird von Anna in der Ich-Perspektive erzählt. Sie verbringt mit ihrer Clique einen ausgelassenen Sommer und feiert Spring Break auf der Insel Aruba. Doch dann wird ihre beste Freundin Elise brutal ermordet und Anna als Hauptverdächtige festgenommen. Und auch wenn es nicht gut für sie aussieht und sich all ihre Freunde nach und nach von ihr abwenden, muss Anna um ihre Freiheit und ihre Liebe kämpfen …
Zunächst mal muss ich die Autorin für ihre Raffinesse und den verschachtelten Aufbau der Geschichte loben! Sie wird auf drei Zeitebenen erzählt und so erfährt man, was auf der Insel geschah, vom aktuellen Gefängnisaufenthalt und den Gerichtsverhandlungen und es gibt auch noch die kurzen, recht kryptischen „Jetzt“-Abschnitte. Außerdem werden einige Szenen aus einer Talkshow eingefügt, die sich mit Elises Tod beschäftigt. Wirklich sehr clever umgesetzt! Durch dieses Springen in der Zeit wollte ich immer wissen, wie die Story weitergeht, und hab das Buch in nur zwei Tagen ausgelesen.
Wer hat Elise wirklich ermordet? Diese Frage stellte ich mir immer und immer wieder und da es so viele Verdächtige und Motive gab, schwankte ich hin und her und konnte eifrig rätseln. So mag ich das! Einige von Annas Freunden haben hier ein Geheimnis, eine Schwäche, eine Charaktereigenschaft, die sie verdächtig macht. Ich habe in den Dialogen zwischen ihnen versucht, zwischen den Zeilen zu lesen, um so alle Hinweise mitzukriegen. Und auch das meistert die Autorin bravourös, denn sie verrät immer nur so viel, dass man am Ball bleibt und hält einem die Infos nicht direkt unter die Nase, sodass man selbst mitdenken muss.
Anna als Hauptcharakter hat mir gut gefallen. Sie erzählt tiefgründig und spannend und ich habe mit ihr gefühlt. Trotzdem bekommt man als Leser nur einen kleinen Einblick, wird immer nur das Wichtigste ins Scheinwerferlicht gerückt. Manchmal wollte ich schreien, weil die Szenen am spannendsten Punkt abbrechen und wieder ein Zeitsprung folgte. Die pure Lesefolter!
Die Kombination aus schwüler, schweiß- und alkoholgeschwängerter Partylaune mit der Gefängnisatmosphäre und den ernsten Gerichtsverhandlungen gefiel mir richtig gut. Besonders faszinierend fand ich dieses Unterschwellige, das Gefühl, dass da die ganze Zeit etwas unausgesprochen unter der Oberfläche lauerte … Ich kann leider nicht näher darauf eingehen, ohne zu spoilern, aber wenn ihr das Buch gelesen habt, werdet ihr wissen, was ich meine. ;)
Und dann kommt der Hammer, der Wahnsinn, dieses unerhörte Ende! Die Wendung hat mich förmlich entwurzelt und eine steile Klippe hinunter stürzen lassen. Leute, ich weiß nicht, ob ihr darauf kommt – ich hatte so meine Vermutungen und wurde trotzdem komplett umgehauen. Wie die Autorin einen hier am Ende zurücklässt, schockiert und grübelnd, das ist einmalig. Ich hatte Redebedarf (leider war niemand zum Diskutieren da), habe erstmal wild im Buch herumgeblättert und nach Hinweisen, Widersprüchen und bestimmten Formulierungen gesucht, weil ich es nicht glauben konnte. GENAU SO erwarte ich das von einem erstklassigen Thriller! Mission erfüllt.
Mein Fazit: „Dangerous Girls“ ist ein extrem spannender Jugendthriller zum Miträtseln mit vielen Verdächtigen. Ein fesselnder Schreibstil sorgt dafür, dass man geradezu durch die Seiten fliegt und das Wahnsinnsende bleibt noch lange im Gedächtnis!
Der Gefängniskaplan liebt es, über Wendepunkte zu sprechen. Über den Moment, in dem wir uns für den falschen Weg entschieden haben, den Punkt, nach dem eine Umkehr unmöglich war. Die Gespräche sollen uns helfen und uns den Punkt zeigen, wo alles angefangen hat. Dadurch sollen wir jetzt in der Lage sein, es besser zu wissen und zu sehen, wie falsch unsere Entscheidungen waren. Also reden wir über unsere Vergangenheit und versuchen, Verbrechen und Konsequenzen durch unsere kurzen Leben zurückzuverfolgen, bis wir den Wendepunkt finden, die eine Entscheidung, die alles hätte ändern können. Dies war meine.
– Abigail Haas: Dangerous Girls, S. 42
Zum Stöbern die Homepage der Autorin.
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[…] Dangerous Girls ist nicht ohne Grund ein Verborgener Schatz. Nur so viel: Eines der größten „Mindfuck-Enden“ der Buchgeschichte mit Überraschungs- und Zurückblättergarantie!!! o.O […]