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{Rezension} Schattenpunkte von Denise Mildes

Klappentext: Unter der Oberfläche – von uns Realität genannt – tummeln sich Wesen, deren Existenz wir leugnen. Finstere Mächte, die uns versklaven wollen, dunkle Gestalten, die im Schatten lauern, aber auch Figuren, die liebevoll sind oder Trost spenden können. Von Zeit zu Zeit überqueren sie die Brücke, die unsere Welten trennt und nehmen Kontakt mit uns auf. In vier Kurzgeschichten berichtet die Autorin von diesen Begegnungen. Und hinterher ist nichts mehr wie zuvor.

„Nicht wahrgenommen zu werden, ist eine Sache, gänzlich ignoriert zu werden, eine ganz andere. Es tut weh. Sehr sogar. Ich bin nicht unsichtbar. Im Gegenteil. Man kann mich deutlich erkennen. Nun gut, nicht ständig, mein Dasein unterliegt gewissen Einschränkungen, aber dafür kann ich doch nichts. Ich bin da wie der Regen, dessen Existenz niemand in Zweifel zieht, obgleich es nicht permanent regnet. Oder wie die Sonne. Hier in Sankt Petersburg versteckt sich das leuchtende Gestirn mehr als zweihundert Tage im Jahr hinter einer dicken Wolkenschicht. Dennoch weiß jeder, dass es sie gibt. Selbst ihre Verhüllung wird von den Bewohnern der Newa-Metropole kommentiert. Über mich spricht niemals irgendwer.“

– Denise Mildes: Schattenpunkte, S. 27 (Weiße Nacht)

Rezension

Schattenpunkte CoverIch hatte das Glück, auch für „Schattenpunkte“ ein Reziexemplar von der lieben Denise angeboten zu bekommen, nachdem ich zuvor schon den kleinen Bruder oder dramatischen Zwilling Wendepunkte gelesen habe. :) Bei Schattenpunkte geht es mit düster-melancholischer Stimmung weiter – diesmal jedoch im Fantasygewand! Ich habe mich sehr auf die Geschichten gefreut, da der Fantasyanteil genau nach meinem Geschmack ist und bedeutet, dass jetzt noch viel mehr möglich ist … Allein das Cover ist ein Traum! Mit seinen düster-verwaschenen Farben verströmt es die perfekte Atmosphäre und stimmt den Leser darauf ein, was für Geschichten ihn hier erwarten.

Kurz zur Info, bevor ich zur Bewertung der einzelnen Geschichten komme: Wie sein Zwilling ist das hier ein sehr dünnes Büchlein mit nur 64 Seiten und großzügigem Zeilenabstand, wodurch man sehr schnell durch die Erzählungen fliegt. Die perfekte Lektüre für das Wartezimmer beim Arzt oder die Bahnfahrt zur Arbeit. ;)

  1. Ein Schluck vom Glück

Hier geht es um den beliebten Klassiker „Gedächtnisverlust“. Das Thema zieht ja eigentlich immer. :) Für meinen Geschmack ist die Geschichte allerdings etwas zu blumig geschrieben und mit zu vielen Adjektiven und ein paar schriftstellerischen Klischees gespickt. Der Schreibstil wirkt irgendwie unausgereifter und weniger tiefgründig als sonst. Vielleicht eine ältere Geschichte, wo die Autorin ihren Stil noch finden musste? Trotzdem lässt er sich gut lesen und beschwört eine düster-verwirrende Stimmung herauf. Die Geschichte lebt dann auch von ihrer Stimmung, denn die Story an sich ist leider recht vorhersehbar. Eine altbekannte Idee wird präsentiert, die mich gut unterhalten, aber nicht ganz umgehauen hat.

  1. Weiße Nächte

Die ersten Sätze sind richtig gut und bringen mich dem Hauptcharakter sofort näher. Es gibt interessante Gedankengänge, die mich unterhalten haben, aber keine große „äußere Handlung“. Der Erzählton ist diesmal locker-flockig amüsant und nicht so düster wie in den bisherigen Geschichten. Der Ich-Erzähler spricht den Leser mit rhetorischen Fragen direkt an. Irgendwie hatte ich beim Lesen das Lied „Sie sieht mich einfach nicht“ von Xavier Naidoo im Ohr – es passt so schön! :D Die Geschichte spielt übrigens, wie auch die vorherige, im düsterkalten Russland, was für eine perfekte Atmosphäre sorgt! Das Ende ist süß und fröhlicher als in ihren anderen Geschichten. Das zeigt mal wieder die Wandelbarkeit der Autorin!

  1. Nachtgestalten

Jetzt gibt es eine längere Kurzgeschichte und gleich in den ersten Sätzen kommt eine tolle Krimi-Noir-Stimmung auf, was ich sehr mag. Es ist wirklich ein klassischer Noir-Krimi, wie er hätte in der unlängst rezensierten Anthologie „Fantasy Noir“ vorkommen können. Der Ton der Erzählung ist hier wieder anders, passend zum Erzähler nüchtern und hart ohne Ausschmückungen. Eine solide Geschichte, die glaubwürdig und Schlag auf Schlag erzählt wird. Am Ende verfällt die Autorin in einem Absatz in eine andere Sichtweise, was mich etwas rausgeworfen hat, aber ich bin bei sowas immer sehr pingelig, also fällt es anderen Lesern vielleicht gar nicht auf. ;) Ansonsten ist die Geschichte tadellos umgesetzt mit einer guten, (mehr oder weniger) überraschenden Auflösung und einem gemeinen, aber passenden Ende. Etwas „more shocking“ wäre für mich cool gewesen und ich hätte mir etwas mehr Fantasy und andere Wesen gewünscht, aber man kann ja nicht alles haben … :)

  1. Das Ende

Einfach nur schön und traurig. Man kann sich am Ende seinen Teil zum auftretenden Wesen denken, weil es doch recht deutlich zwischen den Zeilen gesagt wird. Leider wenig überraschend, aber darum ging es hier auch nicht. Eher um die Atmosphäre und die Gefühle und die wurden hier gut rübergebracht. Mehr gibt´s dazu nicht zu sagen. Ein schöner Abschluss.

Fazit

Wieder bin ich von der Beobachtungsgabe und der Wandelbarkeit von Denise Mildes beeindruckt! Der Schreibstil ist vielfältig und immer dem jeweiligen Protagonisten angepasst (was auch nicht jeder Autor kann). Die Themen sind überwiegend melancholisch und düster und treffen damit genau meinen Geschmack. Insgesamt finde ich die Geschichten im Aufbau und der Aussage etwas schwächer als in „Wendepunkte“ – auch mit weniger Überraschungen und Rätseln. Trotzdem lohnt es sich für Kurzgeschichtenfans, diese Sammlung zu lesen!

Ich freue mich schon auf weitere Geschichten von Denise Mildes (vielleicht ja auch bald ein Roman?), denn sie besitzt die meiner Meinung nach wichtigsten Fähigkeiten eines Autors: Sie kann richtig gut erzählen, hat eine tolle Beobachtungsgabe und großes Einfühlungsvermögen in die menschliche Natur. Wir werden sicher noch viel von ihr lesen und hören! ;)

Bewertung

Schattenpunkte | epubli GmbH | 64 Seiten | 978-3737553070 | 5,99 Euro

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