Schön, schöner, unberührbar …
Es braucht für einen Menschen nur eine Berührung von sieben Sekunden, um sich zu verlieben. Aber Liebe ist eine der vielen Gefahren, die unkontrollierte Nähe mit sich bringen könnte. Um die Menschen davor zu schützen, wird in der neuen Welt von AurA Eupa jegliche Berührung strengstens überwacht. Die Bevölkerung ist eingeteilt in die drei Ligen der Schönheit, der Kontakt zwischen ihnen verboten. Doch als die junge Novalee aus der durchschnittlichen Liga 2 in die Siedlung der Unverheirateten zieht und auf Graey trifft, ist sie sich der staatlichen Ordnung nicht mehr sicher. Graey ist nicht durchschnittlich, sondern höchst attraktiv. Und sieben Sekunden können unendlich kurz sein … (Klappentext)
Rezension
Erstmal kurz zum Cover: Ist es nicht wunderwunderhübsch? So schön düster und irgendwie romantisch-schwermütig. *hach* Ich würde es total gern als Print in den Händen halten!
Gleichheit ist unser Motto. In Ligen unterteilt, unterscheiden wir uns einzig durch die äußere Erscheinung.
Besonders das letzte war eine so offensichtliche Lüge, dass Crish beinahe laut lachen musste. Doch die Wahrheit war so bitter, so menschenverachtend, dass ihm das Lachen im Hals steckenblieb.
In AurA Eupa herrschte keine Gleichheit. Das war auch niemals ihr Bestreben gewesen. Der Besitzer Bradian Muerfie mochte sein Kastensystem vielleicht als Vernunftentscheidung tarnen, als Versuch, die Menschen im ehemaligen Europa, seine Schäfchen, voreinander zu schützen, doch jeder, der auch nur etwas über den Tellerrand dieser Behauptungen hinaussah, erkannte die Oberflächlichkeit und die Verachtung dahinter.
– Kerstin Ruhkieck: Forbidden Touch 1: Sieben Sekunden, Position 464-469
Wie ihr als aufmerksame Leser unseres Blogs bestimmt wisst, bin ich ein großer Fan von Kerstin Ruhkiecks Geschichten. Sie sind immer etwas Besonderes. Tiefgründig mit wichtigen Themen und einer Botschaft. So auch Forbidden Touch: Sieben Sekunden, der erste Teil einer Trilogie. Und was soll ich sagen? Ich war nach dem Lesen total geflasht! Berührt. Schockiert. Aber fangen wir von vorne an …
Allein die Idee ist schon genial! Eine Gesellschaft, die in Ligen nach ihrem Äußeren eingeteilt ist und bei der Berührungen zwischen den verschiedenen Ligen verboten sind. Nach DER Inhaltsbeschreibung musste ich es sofort lesen, als es rauskam! Die strengen Regeln der neuen Welt „AurA Eupa“ (das neue Europa) sind richtig intensiv und klasse umgesetzt. Sie werden nach und nach durch geschickt einfließende Informationen an den Leser gebracht ohne Infodump oder den Lesefluss zu stören. Dies geschieht so eindringlich, dass ich mehr als einmal einen dicken Kloß im Hals hatte …
Denn das Schlimme daran: So eine Gesellschaft, die sich allein auf das Aussehen der Menschen konzentriert, ist (leider) absolut vorstellbar und weist erschreckende Parallelen zu unserer heutigen Gesellschaft auf. Ich finde es gar nicht so weit hergeholt, wenn man die Boulevard-Nachrichten und Star-Magazine verfolgt, in denen sich mindestens jeder zweite Artikel ums Aussehen, Diät-Tests, Stars ungeschminkt, die Beauty-OPs der Reichen, Modetrends und -fails, Make up- und Beauty-Tipps usw. dreht. Das Gleiche gilt für Magazine und Zeitschriften und vieles mehr. Irgendwie traurig, dass unsere Gesellschaft so oberflächlich ist und sich oft nur darüber definiert. Wer nicht ins strenge Raster passt, wird auch heute schon ausgegrenzt, schräg angeschaut und Opfer von Lästereien und Mobbing. Traurig, traurig.
Puh, jetzt muss ich aber kurz Luft holen, sonst sitze ich morgen noch hier – und ihr auch. Kommen wir also zu den Charakteren. Die Dystopie wird aus der Sicht von zwei verschiedenen Charakteren erzählt, die beide in Liga 2, also der „Mittelklasse“ leben. Novalee muss in das Dorf der Unverheirateten ziehen, denn in der Gesellschaft ist es Vorschrift, schon mit spätestens 18 Jahren verheiratet zu sein und so schnell wie möglich zwei Kinder zu bekommen. Nova wird uns als sehr regeltreu und naiv gezeigt und daran muss man sich ein wenig gewöhnen, aber ich finde, in eine Dystopie passt das gut rein, denn es müssen einem ja erst die schlimmen Umstände gezeigt werden, dann folgt das Erwachen und irgendwann die Rebellion. Das alles geht nicht von heute auf morgen und so fand ich es sehr realistisch dargestellt, vor allem, weil Novalee es ja nicht anders kennt. Sie begegnet dem sympathischen Graey, der eigentlich viel zu schön für Liga 2 ist. Er bietet ihr seine Hilfe an und bald kommen sie sich näher. Ich mochte Graey, da er sehr hilfsbereit ist und dauernd tiefgründige und wunderschöne Sachen sagt wie:
Ich wurde in meinem Leben so häufig fotografiert, ich habe manchmal das Gefühl, sie haben mir einen Teil meiner Seele gestohlen. Mit jedem Bild ist ein Stückchen von mir weggebrochen. Ich suche sie noch heute, meine fehlenden Teile. Damit ich wieder der werden kann, der ich einmal war.
(Pos. 4.133-4.135)
Ist das nicht zum Seufzen schön? *hach* Auch Leilani, die sich langsam zu einer echten Freundin von Nova entwickelt, mochte ich vom ersten Moment an. Sie ist ein quirliges, aufgewecktes Mädchen, das das Herz am rechten Fleck hat.
Die zweite Hauptperson, die aber einen ganz eigenen Handlungsstrang hat, ist Novalees Cousin Crish. Er kommt an ein Institut, um eine Ausbildung zum Paketausträger zu absolvieren. Dort begegnet er seinem Schulkameraden Asher wieder und zwischen ihnen entwickelt sich eine tiefe Freundschaft. Asher fand ich einen wundervollen Nebencharakter, der nichts auf Äußerlichkeiten und Lästereien der anderen gibt und Crish ein wahrer Freund ist. Mehr verrate ich an der Stelle nicht, denn das solltet ihr selbst erfahren … ;) Crishs Schicksal tat mir sehr leid, da er ein Opfer von Mobbing und körperlicher Gewalt wird – Dinge, die in AurA Eupa eigentlich verhindern werden sollten. Seine Unsicherheiten und Gefühle werden eindringlich beschrieben und ich wollte ihn gern in den Arm nehmen und trösten, so sehr habe ich mit ihm mitgefühlt.
Kommen wir zur Handlung. Es gibt viele Andeutungen und Geheimnisse zwischen den Zeilen, da kann man selbst etwas miträtseln, was ich absolut klasse finde! Die Annäherung der zwei Handlungsstränge geschieht nach und nach und während man die Verbindungen entdeckt, gibt es einen richtigen kleinen „Aha-Effekt“. Das fand ich sehr gelungen und freue mich schon auf Band 2, in dem dann beide Stränge wohl zusammenlaufen. Ich bin gespannt, wie die Autorin das umsetzt.
Die Atmosphäre der Geschichte ist dystopietypisch düster, dramatisch und geheimnisvoll, was ich ja sehr mag. :) Durch geschickte Auslassungen, offene Kapitelenden und Sichtwechsel wird die Spannung dauerhaft hoch gehalten, und wenn ich gekonnt hätte, hätte ich es wohl in einem Rutsch gelesen. Dazu trägt auch der tolle Schreibstil von Kerstin Ruhkieck bei, der so feinfühlig und intensiv ist, dass ich ganz tief in die Gedanken und Gefühle von Crish und Novalee eingetaucht bin. Als Schatten, direkt an ihrer Seite, habe ich ihre Schicksale verfolgt und AurA Eupa erkundet.
In der Story wird Gewalt offen thematisiert und keineswegs ausgeblendet. Ich finde das bei so einem Thema wichtig, denn der Mensch ist leider so. Die Handlung läuft nicht nach Schema F ab und deshalb weiß man nie, was hinter der nächsten Storyecke lauert! Außerdem ist sie zu 100 % kitsch- und klischeefrei, was mir ja sehr willkommen ist. Es kommen immer wieder erschreckende Wahrheiten ans Tageslicht, die sich mehr und mehr steigern und zum Ende hin wurde es so dramatisch und spannend, dass ich den Reader nicht weglegen konnte – die Lesesucht ließ grüßen! :)
Einzig das Ende hat mich ziemlich unsanft aus der Story katapultiert. Ich fühlte mich, als hätte man mir einen Kübel Eiswasser über den Kopf geschüttet und mich damit eiskalt aus meinem fiktionalen Traum geweckt. *schnief grummel* Die Action am Ende fand ich übrigens klasse (und es gab auch noch eine schockierende Enthüllung als Bonus!), aber sie hätte ebenfalls etwas ausführlicher beschrieben werden können. Die Autorin lässt uns ganz schön gemein in der Luft hängen, sodass ich Band 2 kaum erwarten kann! Gott sei Dank erscheint er schon im Juli und Band 3 im Oktober. Viel länger würde ich es auch nicht aushalten …
Manche Dinge glänzen so sehr, dass sie dich blenden, und erst, wenn du im Inneren steckst, erkennst du, dass alles bloß eine Illusion ist.
– Kerstin Ruhkieck: Forbidden Touch 1: Sieben Sekunden, Position 4.138-4.139
Fazit
Eine tiefgründig-düstere Dystopie mit Suchtfaktor und einer Extraportion Gefühl, die eine wichtige Botschaft vermittelt: Dein Aussehen ist nicht wichtig und du bist schön, so wie du bist! Keine Ausrede: Unbedingt lesen!
Bewertung
Forbidden Touch 1 – Sieben Sekunden | Impress/Carlsen | 406 Seiten | E-Book | 3,99 Euro
5 Comments
Liebe Kristina,
du sprühst ja vor Begeisterung :-) Aber kann ich gut verstehen, auch wenn ich das Buch (noch!) nicht gelesen habe. Manchmal spricht mich ein Buch nur beim Anschauen und beim Lesen des Klappentextes so enorm an, dass ich einfach weiß, dass es gut ist. Diese Ahnung hast du nun bestätigt :D Hoffentlich gibt es das Buch bald in Print, eBooks lese ich nicht allzu gerne…
Liebe Grüße,
Anna
Liebe Anna,
erstmal danke für deinen Kommi! :) Es freut mich total, wenn meine Begeisterung rauszulesen ist und ich dich in deinem Beschluss bestärken konnte! Die Geschichte lohnt sich wirklich, weil es mal etwas komplett anderes ist und so schön tiefgründig und sensibel erzählt. *hach*
Das hoffe ich auch, aber bei Impress weiß man das ja nicht so genau, die bringen nur die Bücher als Print raus, die sich extrem gut verkaufen, leider … *Daumen drück*
Ganz ganz liebe Grüße zurück!
Kristina
[…] Dystopie ans Herz legen können. <3 Falls ihr noch eine Meinung braucht, lest noch mal in meine Rezension […]
[…] Es ist wirklich genial und falls ihr immer noch nicht überzeugt seid, lest doch mal in meine Rezi rein. ;) Genau HEUTE erscheint übrigens schon Band 2, sodass ihr direkt weiterlesen könnt (ich […]
[…] Eine tiefgründig-düstere Dystopie mit Suchtfaktor und einer Extraportion Gefühl, die eine wichtige Botschaft vermittelt: Dein Aussehen ist nicht wichtig und du bist schön, so wie du bist! Keine Ausrede: Unbedingt lesen! ~ Kristina von Tintenmeer […]