Was, wenn man NICHT einer der Außerwählten ist, wie sie immer in den Büchern beschrieben werden? Wenn man nicht der Held ist, der sonst üblicherweise die Zombies bekämpft, oder die Seelenesser oder was immer gerade das nächste unheilbringende Wesen sein mag, das die Welt bedroht. Was, wenn man einer ist wie Mikey? Der einfach nur seinen Abschluss hinbekommen möchte und zum Schulball gehen und vielleicht irgendwann den Mut aufbringen, Henna um ein Date zu bitten – bevor irgendjemand die Schule in Schutt und Asche legt. Wieder mal. Denn manchmal gibt es stinknormale Probleme, die echt wichtiger sind als der nächste Weltuntergang, und angesichts derer man erkennt, dass das eigene ganz normale Leben absolut einzigartig und außergewöhnlich ist. (Klappentext)
Rezension
Wie ihr vielleicht wisst, liebe ich besondere Bücher. Bücher, die nicht dem Mainstream entsprechen und mir etwas Neues bieten. Daher MUSSTE ich „Das Morgen ist immer schon jetzt“ einfach lesen! Das Cover fand ich schon sehr gelungen. Die Schrift ist auffällig, aber das Motiv mit den Freunden dezent. Das passt zur Story, die auch eher unaufgeregt daherkommt. Der Klappentext überzeugte mich dann restlos, weil er mal nach etwas anderem klang. Doch konnte das Buch vom mehrfach ausgezeichneten Jugendbuch-Bestsellerautor Patrick Ness meine Erwartungen erfüllen?
Zunächst einmal zu den Charakteren: Mit dem Protagonisten steht und fällt jede Story, vor allem, wenn er auch noch Ich-Erzähler ist. Wenn er – in diesem Falle der unscheinbare Mikey – mich nicht überzeugen kann, hat das Buch einen schwierigen Stand. Mikey ist ein Charakter wie du und ich, zutiefst unsicher, was sein Selbstbild betrifft, hat er auch noch mit einer Zwangsstörung zu kämpfen. Außerdem ist das Verhältnis zu seinen Eltern nicht einfach und auch eine seiner Schwestern hat ein schwerwiegendes Problem …
Puh. Ich muss sagen, so spannend das alles klingt und so interessant ich das Thema „Zwangsneurose“ auch fand, so richtig wurde ich mit Mikey nicht warm. Zunächst mal hatte ich Probleme mit seiner Erzählstimme, dazu unten mehr. Außerdem ging mir Mikey ziemlich auf die Nerven mit seinem Selbstmitleid, seiner Jammerei, seinem Egoismus, seinen Vorurteilen und seiner Besserwissererei. Keine positiven Eigenschaften. Und zu allem Überfluss tut er NIE AKTIV IRGENDETWAS, um Probleme zu lösen oder die Story voranzutreiben. Stattdessen läuft er vor Schwierigkeiten davon und ist damit nicht als (klassicher) Protagonist geeignet. Kurz gesagt: Er hat mich tierisch genervt.
Zu den anderen Charakteren kann ich gar nicht so viel sagen und möchte euch auch nicht zu viel verraten, nur dass mir keiner von ihnen im Gedächtnis geblieben ist. Aber schön fand ich, dass der Autor jedem von ihnen unterschiedliche Probleme verpasste, mit denen sie zu kämpfen hatten. Dies geschiet allerdings nur nebenbei und richtige Lösungen werden lediglich angekratzt.
Mikey spricht zum Leser in einem jugendlich-umgangssprachlichen Ton. Das macht ihn authentisch. Leider konnte ich mich trotzdem nicht in ihn hineinversetzen. Der Leser wird von ihm ab und zu mit „Du“ angesprochen und bekommt rhetorische Fragen gestellt. Das wirkte für mich etwas gezwungen und riss mich aus der Erzählung. Die Sprache kam mir an manchen Stellen zu „gewollt cool“ vor. Außerdem sind seine Beschreibungen oberflächlich; Mikey nennt uns zu wenige Details und dadurch lief kein Film vor meinen Augen ab.
Die Dialoge kamen mir auch merkwürdig vor. Die Teenager reden abgehackt und unkonkret miteinander, manchmal gab es gar keinen Bezug der Antworten zu den Fragen. Oder vielleicht habe ich es nur nicht verstanden … Auch reden sie meist um den heißen Brei herum und das ist auf Dauer anstrengend. In den meisten Szenen wird zu früh rausgesprungen, d. h. dass die eigentlich spannenden Ereignisse nur andeutet und nicht ausgearbeitet werden. Wir bekommen es im nächsten Kapitel in ein paar Sätzen als Rückblende erzählt und können uns den Rest selbst ausmalen. All das ist dem jugendlichen Erzähler geschuldet, der selbst nicht weiß, was er will, und der viele Dinge nicht hinterfragt. Das mag zwar zu ihm passen, war mir aber als Erzählstimme nicht interessant genug.
Eine schöne Idee hingegen, fand ich die Einschübe mit den Indie-Kids zu Kapitelbeginn. Hier wird die eigentliche Story erzählt vom Kampf Gut gegen Böse – Auserwählte gegen übernatürliche Wesen. Eine nette Parodie auf bestehende Jugendbücher und wirklich mal was anderes! Davon hätte ich gerne mehr gelesen, am liebsten aus der Sicht des jeweilgen Jugendlichen und nicht nur eine Zusammenfassung.
Ich habe auch ein bisschen gebraucht, um hinter das Konzept des Buches zu steigen und hatte das ein oder andere Fragezeichen im Kopf … Der mysteriöse Fantasy-Einschlag KÖNNTE das gewisse Etwas sein (wie erhofft), aber dafür war er mir zu abstrus und albern. Das muss man mögen und sich drauf einlassen können. Ich konnte es nicht.
Auch weiß man die ganze Zeit nicht, worauf die Story hinausläuft. Es wird viel angedeutet und zwischen den Zeilen gesagt. Die Parallelen zur Handlung mit den Indie-Kids sind gut dargestellt, die Überschneidungen zur Hauptstory waren toll und hätten gerne noch zahlreicher sein können! Zu Anfang noch interessiert, habe ich irgendwann leider nur noch als unbeteiligter Zuschauer gelesen. Statt am Spiel teilnehmen zu dürfen, stand ich außen am Spielfeldrand – nein ich war nicht mal im Stadion!
Zusammengefasst: Wenig Spannung und eine Story, die ziellos, langatmig und unspektakulär daherkommt. Eine Alltagsbeschreibung ganz normaler Teenager ohne Wende- & Höhepunkte. Ich habe es mit einem „Aha, das war´s jetzt?“-Gefühl geschlossen. Es ist ein sehr spezielles Buch und ich war wohl die falsche Leserin, weil ich eine emotionsgeladene Story mit philosophischen Einstreuungen erwartet hatte …
Fazit
Ihr könnt es mit dem Buch versuchen, wenn ihr eine jugendlich-knappe Erzählweise mögt, einen schwierigen Protagonisten akzeptieren könnt und eine ruhige Story rund um Alltagssorgen von Teenagern mit einem gewöhnungsbedürftigen Fantasyeinschlag lesen wollt. Ich hatte mir von dem genialen Klappentext mehr versprochen, mehr Drama, mehr Tiefgründigkeit, mehr Spannung, mehr „Mittendrin statt nur dabei“-Gefühl. So reicht es leider nur für 2 Sterne …
Bewertung
Patrick Ness: Das Morgen ist immer schon jetzt | cbj Verlag | 320 Seiten | 978-3570172667 | 16,99 Euro
Vielen Dank an den cbj Verlag für das Rezensionsexemplar!
3 Comments
[…] gewesen, hätte ich es wahrscheinlich abgebrochen. *seufz* Mehr dazu könnt ihr in meiner Rezension nachlesen. 2 […]
[…] bekommen habe ich dann leider recht wenig. Für meine ausführliche Meinung verweise ich auf meine Rezension und für die Kurzform auf mein Lese-Logbuch August. Nur so viel: Unsympathisch-langweiliger […]
[…] {Rezension} Das Morgen ist immer schon jetzt von Patrick Ness […]