Eine dystopische Welt, die kein Erbarmen zeigt.
Eine Regierung, die sich selbst betrügt.
Eine Frau, die die Zeit befreit.
Warum wir damals unter die Erde flüchten mussten, weiß heute niemand mehr. Wir besitzen nur noch Legenden – und unsere Existenz. Unsere Erinnerungen, unsere Identität, unsere Lebenslust tauschten wir gegen kleine weiße Tabletten ein. Ein Medikament, das sich Elysium nennt und zwar ewiges Leben verleiht, uns jedoch in eine Art Trance fallen ließ.
Doch als ich das Tagebuch finde, verändert sich für mich alles. Ich stelle wieder Fragen. Wer bin ich? Warum wollte ich vergessen? Wer tut uns all das hier an? Ich heiße Kimberly. Und ich bin aus der Trance erwacht. (Klappentext)
Rezension
Welchen Wert hat das Leben, wenn wir ewig Zeit haben? In der Dystopie „Trance – Als die Menschen vergaßen zu leben“ von Veronika Serwotka und Laura Schmolke haben die Menschen den natürlichen Tod besiegt. Ihre Alterung wird durch das Medikament Elysium aufgehalten. In der Konsequenz verlieren sie aber auch ihren Antrieb, ihre Motivation, fallen in eine Art Trance. Wie Roboter funktionieren sie noch, ohne die Welt um sie herum wirklich wahrzunehmen.
Inzwischen ist es mir fast egal geworden, was geschieht. Was ich erlebe, sehe, fühle. Ich habe mich an den Luxus eines ewigen Lebens gewöhnt und dabei etwas ganz Entscheidendes vergessen: zu leben!
Das darf mir nicht noch einmal passieren. Ich hatte doch so viel vor! Ich wollte die Welt verändern! – S.198f
Aus diesem Zustand wird unsere Protagonistin Kim durch das Tagebuch des Mädchens Joy aufgeweckt. Sie schließt sich einer kleinen Rebellengruppe an, die auch die anderen Menschen wecken möchte, damit diese selbst entscheiden können, wie sie fortan weiterleben möchten. In einem Mix aus Tagebucheinträgen, Erinnerungsfetzen und der Beschreibung der Reise entdecken wir mit Kim die Welt, was mit ihr passiert ist und auch Kims eigene Vergangenheit, die sie durch Elysium vergessen hat.
Der Einstieg in die Geschichte ist düster, verheißungsvoll und aufregend. Von Bestien wird berichtet, die die Menschen unter die Erde getrieben haben. Eine reizvolle Ausgangssituation, die den Leser einfängt und die Neugier schürt. Ebenso verhält es sich mit der ersten Begegnung mit Protagonistin Kim, die gleich zu Beginn einen toten Mann aus dem Wasser zieht. Die Tatsache, dass er alt ist, erschüttert sie zutiefst. Lange darüber nachdenken kann sie aber nicht, den die ersten Häscher sind schon auf dem Weg. Der bildhafte, teils metaphorische Schreibstil des Autorinnen-Duos schafft Atmosphäre und zeigt sich facettenreich je nach Situation – von knapp und nüchtern bis poetisch und detailverliebt.
Die Zeit ist eine träge graue Masse, die festhält und klebt wie ein zäher Sirup. Sie begleitet jeden Schritt, wacht über jede Bewegung und ist doch nur ein leises Ticken im Hintergrund. Nichts Weltbewegendes mehr, so wie früher. Der Menschen vernichtende Sturm ist zu einer sanften Brise geworden, gezähmt und betrogen. – S.5
Durch die Rebellengruppe werden wir mit einer ganzen Reihe von neuen Figuren konfrontiert – ich glaube, es waren zehn –, über die wir nach und nach ein wenig mehr erfahren. Allerdings machen alle ein großes Geheimnis aus ihrer Vergangenheit, sodass die Figuren bis zum Ende leider sehr blass bleiben. Gerade sie und ihre Geschichten wären eine Chance gewesen, interessante Details über die neue Welt zu zeigen. Die kleinen Ansätze dieser Geschichten werden aber nicht weiter verfolgt, was sehr schade war.
Auch wenn diese Dystopie sehr aufregend beginnt, zeigt sich schnell, dass wir eine von der sehr ruhigen Sorte vor uns haben. Getragen wird die Geschichte von einigen tiefen, bewegenden Gedanken und Botschaften, die zum Nachdenken anregen. An ihnen kann man immer wieder hängen bleiben, darüber sinnieren. Die Autorinnen legen ihre Finger immer wieder in Wunden, die den Leser aufrütteln. Emotional wird hier einiges geboten.
Doch besonders die Passivität der Protagonistin fällt negativ auf. Kim ist keine Handlungsträgerin, sie geht den Weg der Rebellen mit, ohne hierauf Einfluss zu nehmen. Eine Entwicklung – abgesehen vom Aufwachen und Wiederfinden der Erinnerung – findet daher leider auch nicht statt. Stattdessen stößt man hin und wieder auf Ungereimtheiten, die bis zum Schluss nicht erklärt werden, und Details, die plötzlich keine Rolle mehr spielen.
Die Mischung der drei Zeitebenen verspricht zunächst Dynamik. Doch das Konzept hat für mich nicht ganz funktioniert, sondern einige Längen in die Geschichte gebracht. Sicherlich ist es für Kim wichtig, die Welt vor Elysium kennenzulernen. Durch die oft sehr detaillierten Beschreibungen von Alltäglichem leidet aber die Spannung. Auch interessante Wendungen und Enthüllungen über die neue Welt habe ich vermisst. Am Ende werden die gesponnenen Fäden zwar zusammengeführt, aber Überraschungen gab es auch hier wenig. Vielmehr zeichnete sich die Auflösung schon recht früh ab und auch Kim bleibt weiter passiv. Die entscheidenden Handlungen gehen leider von anderen Figuren aus.
Fazit
„Trance – Als die Menschen vergaßen zu leben“ von Veronika Serwotka und Laura Schmolke ist eine Dystopie der ruhigen Art. Sie lebt besonders von den nachdenklich machenden Botschaften über unsere Welt, unsere Gesellschaft, unser Leben. Leider hatte ich aber auch das Gefühl, dass dieser emotionale Part auf Kosten einer substanziellen Handlung geht. Das war superschade, denn so blieb bei mir ein wenig der Eindruck zurück, dass man einfach mehr aus der Geschichte hätte machen können.
Bewertung
Veronika Serwotka und Laura Schmolke: Trance – Als die Menschen vergaßen zu leben | 280 Seiten | Tagträumer Verlag | ISBN 978-3-946843-23-8 | 12,90 Euro TB | 3,99 Euro E-Book
Vielen Dank an die liebe Laura, die mir das Buch als Rezensionsexemplar ermöglicht hat!
2 Comments
Klingt eigentlich sehr interessant. Werd ich mal auf meine Liste setzen :-)
[…] Reziexemplar von „Trance“ überreicht. Ihre ausführliche Meinung gibt’s in ihrer Rezension. Ich hatte schon länger ein Auge darauf geworfen, weil ich die Idee einer Dystopie um ewiges Leben […]