Ruann war einst eine blühende Welt. Doch seit die Sapioner ein Land nach dem anderen unterwerfen, herrschen Angst und Schrecken. Nach und nach versiegen zudem die letzten Quellen und Wasserreservoirs in den eingenommenen Gebieten. Übrig bleibt nur unfruchtbares Land, dem die Versklavten das letzte Tröpfchen Wasser abtrotzen sollen.
Das Leben im Reich der „Blutgöttin“ ist archaisch und brutal. Folter und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Frauen sind degradiert zum Lustobjekt und haben selbstverständlich keine Rechte. Aber auch um die Rechte der sapionischen Männer steht es nicht viel besser. Schon im Kindesalter wird ihnen brutal jedes Mitleid „abtrainiert“, damit sie als gewissenlose Soldaten im Krieg widerstandslos morden und brandschatzen. Nur die wenigsten schaffen es überhaupt durch dieses grausame Leben, um sich schließlich das Recht zu erkämpfen, sich als Ehemänner fernab des Krieges niederzulassen.
Schon im Prolog lässt Daniela Winterfeld keinen Zweifel daran, dass es wohl auf den folgenden fast 600 Seiten nur wenige Momente der Gnade geben wird – wenn überhaupt. Wem der Einstieg schon zu viel war, der wird auch beim Rest der Geschichte schlucken. Und dabei ist das hier gerade einmal der Anfang einer Trilogie. Die Autorin nimmt sich darum sehr viel Zeit – nämlich gut die Hälfte des Buches –, um ihre Leserschaft Gräuel für Gräuel in ihre düstere Welt einzuführen.
Jeden Monat forderte die grausame Sapia ein Opfer, ein blondes, blauäugiges Mädchen, um ihre blutrünstige Gier zu stillen. Doch blonde Frauen und Mädchen waren selten geworden. Um die letzten blonden Kinder zu finden, zog der Blutsohn mit seinen Horden durch sämtliche Sklavenkolonien.
S.28
Erzählt wird im Wechsel aus vier sehr detailliert ausgestalteten Perspektiven. Den Anfang macht die Sklavin Alia, die seit Jahren in einem Wasserbergwerk in Südfarua schuften muss. Sie träumt davon, zu fliehen und sich dem Widerstand im Norden anzuschließen. Alia ist mutig und klug, doch sie ist machtlos gegen die Sapioner. Sie kann nur warten und auf eine passende Chance zur Flucht hoffen.
Dorgen ist ein Hauptmann im sapionischen Heer, das seit Jahren erfolglos am Waldrand in Nordfarua gegen den Widerstand kämpft. Wir lernen ihn in einem geradezu epischen Moment kennen, in dem alle Krieger ihren täglichen Eid an die Blutgöttin leisten. Allerdings wird schnell klar, dass Dorgen nicht so abgestumpft ist wie die anderen Soldaten. Zwar hat er dieselbe grausame Erziehung genossen wie alle anderen sapionischen Jungen, doch sein Mitleid konnte man nicht ersticken. Stattdessen hat er gelernt, es zu verbergen.
Dorgen besaß nicht den Schutzwall aus Kälte und Grausamkeit, nicht das Herz aus schwarzem Stein, in dem die andern Krieger ihre Menschlichkeit eingeschlossen hatten.
S.76
Tailin ist Dorgens bester Freund und Soldat unter seiner Führung. Als Mischlingskind ist er ständigen Attacken anderer Soldaten ausgeliefert, auch wenn er ein ausgezeichneter Kämpfer mit einer besonderen Gabe ist. Dass er Männer liebt, was natürlich unter Todesstrafe steht, macht ihm das Leben auch nicht leichter. Obwohl er so viel zu verbergen hat und zum Lügen gezwungen ist, ist es seine Ehrlichkeit, die den Lauf seiner Geschichte verändert.
Verglichen mit den drei anderen Protagonisten lebt Feyla als Tochter des obersten Beraters Sapions das leichteste Leben. Zwar ist sie im väterlichen Palast eingesperrt, sie kann sich dort aber recht frei entfalten. Dennoch ist sie nicht glücklich. Auch sie kann dem System nicht entkommen. Dieses sieht für sie ein Leben im goldenen Käfig vor, wo ihr einziger Zweck ist, Kinder zu gebären. Sie hadert täglich mit diesem System, ihrer Unfreiheit, der Behandlung der Sklaven usw. Feyla träumt von Glück und Liebe, die in dieser Welt eigentlich gar nicht mehr existieren.
Jede der vier Hauptfiguren ist in gewisser Weise ein Außenseiter. Mal offen, mal verdeckt wendet sich das eigene soziale Umfeld gegen sie. Ausgrenzung, Demütigung und Misshandlungen kennen alle vier ebenso gut wie das Verbergen der eigenen Wünsche. Und dennoch verlieren sie nicht die Hoffnung. Ihre Schicksale fesseln so, dass man gar nicht merkt, wie man durch die 600 Seiten fliegt.
Was besonders beeindruckt, ist einmal mehr die brillante Ausarbeitung der Geschichte auf allen Ebenen. Es sind nicht nur die Hauptfiguren, die so tiefgründig gezeichnet sind, dass sie als echte Menschen aus den Seiten springen könnten. Es ist diese ganze Welt, ihre Vergangenheit, ihre Kultur, ihre Landschaft, ihre Religionen. Hier ist nichts nur Fassade, hier scheint alles echt zu sein. Die Astronomie mehrerer Sonnen und Monde und die daraus resultierende Zeitrechnung beispielsweise ist absolut beeindruckend. Und das Beste: All das Wissen um diese fremde Welt wird der Leserschaft zu keinem Zeitpunkt nur infodump-mäßig vor die Füße gekippt. Es wurde minutiös zur passenden Zeit in die Geschichte eingeflochten.
An diesem Buch etwas zu finden, das man kritisieren könnte, ist wirklich nicht einfach. Eine Sache gab es aber doch, die mir aufgefallen ist, als das Objekt selbst in der Geschichte auftauchte: die hier leider fehlende Landkarte. Das ist Jammern auf sehr hohem Niveau, aber vielleicht erbarmt sich der Verlag ja noch und fügt dem nächsten Buch eine schöne Karte bei. Es würde das Buch definitiv bereichern.
Fazit
„Die Quellen von Malun – Blutgöttin“ von Daniela Winterfeld ist der ebenso düstere wie brillante Auftakt einer epischen Fantasy-Trilogie. Die Geschichte ist nichts für schwache Nerven, doch wer sich herantraut, wird belohnt mit einem beeindruckenden Weltenbau, lebendigen Figuren und fesselndem Lesespaß. Ein Highlight in der Fantasy-Landschaft, das ihr euch auf keinen Fall entgehen lassen solltet.
Bewertung
Daniela Winterfeld | Die Quellen von Malun – Blutgöttin | Bastei Lübbe | 590 Seiten | ISBN 978-3-404-20948-4 | 15,00€ (Taschenbuch)
7 Comments
Hi Sandy,
ohhhhh wie schön! Freut mich sehr dass dich die Geschichte auch so begeistern konnte!!! Ja, eine Karte wäre echt klasse gewesen, die hat mir manchmal auch gefehlt, aber ansonsten: wirklich wow! Ich war auch absolut gefesselt vom Anfang bis Ende und ich bin schon sowas von gespannt, wie es weitergehen wird!
Liebste Grüße, Aleshanee
Hallo Aleshanee,
danke für den Kommentar. Vielleicht haben wir ja Glück und bekommen noch eine Karte. Ich fände das mega. :) Bin auch schon gespannt, wie es weitergeht – vor allem nach dem Epilog … heiliges Blechle … Das Buch war ja schon sehr krass an manchen Stellen, aber fürs Ende hat sich Daniela noch mal nen Schocker aufgehoben, oder? ;)
Liebe Grüße
Sandy
Definitiv! Und ich bin froh endlich mal wieder etwas „derberes“ gelesen zu haben :D Ich muss jetzt nicht unbedingt immer was brutales lesen oder so, aber manchmal sind diese „Schockeffekte“ halt doch sehr spannend xD
Außerdem leide ich dann noch mehr mit den Figuren mit, das geht schon sehr zu Herzen was sie hier durchmachen müssen.
Ahoi Sandy,
bei dem Buch bin ich mir so unsicher… ich mag Daniela Winterfelds Schreibstil und auch düstere Bücher, aber der Prolog war schon echt heftig und ich weiß nicht, ob mir das nicht doch zu viel wäre, mir Albträume bescheren würde…
Liebe Grüße
Ronja von oceanloveR
Hallo Ronja,
ich bin zwar eine unbedingte Fürsprecherin für Danielas Bücher im Allgemeinen und dieses im Besonderen, aber ich kann dir versichern, dass es mit dem harten Tobak nach dem Prolog nicht aufhört. ;) Wenn dir das zu viel war, wird der Rest auch nicht spurlos an dir vorbeigehen … Aber letzten Endes musst es natürlich selbst entscheiden.
Liebe Grüße
Sandy
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